Die aktuellen Anschuldigungen könnten Rammsteins ohnehin problematisches Image endgültig ruinieren
Bück dich, befehl ich dir / Wende dein Antlitz ab von mir.“ Diese Worte finden von vornherein wahrscheinlich nicht viel Anklang. Die jüngst ausgebrochene Debatte um Till Lindemann, den Sänger von Rammstein, lässt nun weite Teile der Gesellschaft schockiert zurück – sogar langjährige Fans wie mich.
Auch für viele andere fühlt es sich falsch an, die Musik weiterhin zu hören oder das nächste Konzert zu besuchen. Das gilt freilich nicht für alle Anhänger:innen, und einem Großteil fällt es leicht, sich einer ernsthaften Auseinandersetzung zu entziehen. Sie betonen, dass für Lindemann die Unschuldsvermutung gelte oder erklären, dass es schließlich noch kein strafrechtliches Urteil gebe. Beides verteidigt die Band indirekt und untergräbt die Glaubwürdigkeit der Klägerinnen. Das Mindeste wäre es, anfangs beiden Seiten das gleiche Vertrauen vorzuschießen, um nicht die Erzählungen der Betroffenen zu diskreditieren.
Eine interessante Spaltungslinie dieser Diskussion ist der Vorwurf des Machtmissbrauchs, welche zwischen den Generationen verläuft. Vertraut man den Erzählungen von der „Row Zero“ und den After-Show-Partys, lässt sich eine Form der Subjektivierung wiederfinden, wie sie auch schon von Michel Foucault und Judith Butler als Form von Machtausübung verstanden wurde. Den Frauen wird das großzügige Angebot gemacht, diversen Events beizuwohnen und Rammstein persönlich zu treffen. Auch wenn sie dieses freiwillig annehmen, werden im Nachhinein Forderungen an das Verhalten und Outfit gestellt. Die Exklusivität der Einladung kann schnell als Drohung des Ausschlusses genutzt werden und so wird es leichter, Alkohol anzubieten oder später sexuelle Handlungen anzuleiten. Diese Situation ist nicht zu vergleichen mit einem normalen Club- oder Bar-Besuch. Ob man nun den Machtbegriff der Philosoph:innen teilt oder nicht – dass zwischen Lindemann und seinen Groupies eine gewisse Asymmetrie besteht, lässt sich schwer leugnen.
Der Vorwurf, man wisse doch, dass es selbstverständlich zu Sex oder ähnlichem kommen werde, entspricht außerdem nicht dem Bild, dass die Band von sich selbst nach außen präsentiert. In der Vergangenheit sah sich Rammstein bereits mit anderen Vorwürfen aus der Öffentlichkeit konfrontiert. Diese wehrte die Band ab, indem sie sich links und progressiv gab. Dazu sollte eigentlich auch ein aufgeklärter Umgang mit weiblichen Fans zählen und nicht das veraltete und sexistische Groupie-Klischee.
Ist für Rammstein die Show nun zu Ende? Fallen sämtliche Konzerte und Einnahmen weg? Ähnliche Fälle weisen in die entgegengesetzte Richtung. Kevin Spacey, Marilyn Manson, Luke Mockridge und viele mehr wurden durch ähnliche Vorwürfe lediglich etwas durchgeschüttelt und gehen mittlerweile ihrer Kunst wieder nach. Nimmt man den anfangs zitierten Hit „Bück dich“ beim Wort, bezweifelt man auch einen zukünftigen Sinneswandel: „Dein Gesicht ist mir egal / Bück dich – noch einmal!“
Ein Kommentar von Justus Brauer
…hielt schon immer gerne eine Zeitung in der Hand. Seit Frühling 2023 kann er seine Begeisterung für den Journalismus beim ruprecht ausleben.