Seit 2008 ist sie Professorin für molekulare Biologie, nun ist Frauke Melchior die neue Rektorin. Im Interview spricht Eitels Nachfolgerin über ihre Visionen für die Universität
Frau Melchior, Sie sind die zweite Rektorin in der Unigeschichte Heidelbergs – aber was war Ihr Berufswunsch als Kind?
Forscherin wollte ich werden, schon ganz früh. Meine Mutter hat mich in jungen Jahren mit der Lebensgeschichte von Madame Curie und ihren Töchtern gefüttert. Aber auch meine Chemielehrer waren inspirierend. Ich hatte eine Phase, da habe ich über Bereiche wie soziale Arbeit nachgedacht, aber nach dem Chemie-Leistungskurs war die Sache eigentlich klar.
Frauen in der Forschung haben es oft nicht leicht. Wurden Sie in der akademischen Welt aufgrund Ihres Geschlechts schon einmal benachteiligt?
Ich direkt nicht. Aber während meines Studiums kam Diskriminierung ganz klar aus der Industrie – das war in den 1980er Jahren. Als Fachschaft haben wir damals über den Verband Angestellter Akademiker einmal im Jahr Industrievertreter eingeladen, damit sie im Hörsaal aus eigener Perspektive über ihr Berufsfeld berichten. Der Hörsaal war immer voll, und mein ganzes Studium über haben sie uns jedes Mal ins Gesicht gesagt: „Wir stellen keine Frauen ein.“ Wir Studentinnen haben sie daraufhin zur Rede gestellt und die Antwort war immer: „Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass sich ein Arbeiter von einer Frau als Vorgesetzte etwas sagen lässt. Frauen stellen wir bestenfalls im Dokumentations- und Patentwesen ein.“
Und wann haben Sie das erste Mal einen Durchbruch beobachtet?
Gegen Ende meines Studiums, Ende der 80er: Während ich meine Doktorarbeit geschrieben habe, hat die Firma Bayer Leverkusen, mit der wir eine Zusammenarbeit hatten, wohl das erste Mal eine promovierte Wissenschaftlerin im Bereich der Pflanzenforschung eingestellt. Seit Anfang der 1990er Jahre ist die Zahl an Frauen in den Forschungslaboren dann ziemlich schnell gestiegen.
Die Motivation der Industrie war aber sicher nicht plötzliche Frauenfreundlichkeit, sondern der Fachkräftemangel: Man konnte nicht mehr auf die gut ausgebildeten Frauen verzichten. Gott sei Dank sind Frauen auch in der chemischen Industrie heute völlig selbstverständlich.
Das war sicher nicht die einzige Herausforderung während Ihres Studiums. Gibt es etwas, was Sie sich rückblickend selbst als Studentin gerne sagen würden?
Es gibt etwas, was ich meinen Kommilitoninnen und Kommilitonen gerne sagen würde: Ich glaube, viele hatten zu großen Respekt vor Professoren. Ich selbst komme aus einem akademischen Elternhaus und weiß, dass auch Professoren nur mit Wasser kochen. Daher hatte ich nie Berührungsängste und keine Scheu, auch schwierige Themen anzusprechen. Das Gespräch zu suchen und in den Diskurs zu kommen, ist vielen meiner Kommiliton:innen nicht leichtgefallen, glaube ich. Und viele hatten Sorge, dass es zu ihrem Nachteil ist, wenn sie in den Diskurs treten. Aber das Gegenteil ist der Fall: Wer sich einsetzt, wird wertgeschätzt. Daher würde ich immer sagen: Traut Euch! Das möchte ich den Studierenden heute natürlich auch mitgeben. Und sollte ich als Rektorin diesbezüglich einmal anders agieren, darf man mir auch auf die Finger hauen.
Rektorin einer der bedeutendsten Unis in Europa zu sein, geht sicher mit Druck einher: Wie gehen Sie damit um?
Gott sei Dank habe ich viele Menschen um mich herum, die ich um Rat fragen kann. Mittlerweile baue ich zudem auf viel Erfahrung auf, unter anderem durch meine Zeit in Jülich. Dort habe ich schon eine solide Basis geschaffen, zum Beispiel für Themen aus den Bereichen Arbeits- und Verwaltungsrecht, aber auch für den Umgang mit Konflikten mit Ländern wie China oder Russland. Aber ich leite die Uni ja auch nicht allein, sondern gemeinsam im Rektorat – und das ist ein sehr gutes Team.
Das Lernen hört nie auf: Gibt es denn einen bestimmten Skill, den Sie sich in Ihrer Amtszeit gerne aneignen würden?
Davon gibt es viele: Mit wenig Schlaf auszukommen, zum Beispiel. Eine der ganz großen Herausforderungen ist es, sich alle Leute zu merken. Ich darf unheimlich vielen Menschen begegnen, inner- und außerhalb der Uni. Sich zu merken, welches Gesicht ich woher kenne und welcher Name dazugehört – das werde ich noch mehr trainieren müssen.
Worauf freuen Sie sich am meisten in Ihrem neuen Amt?
Auf die große Vielfalt der Themen: sowohl in der Forschung, aber auch in Studium und Lehre. Ich kenne das Neuenheimer Feld sehr gut und die außeruniversitären Einrichtungen – damit hatte ich als Wissenschaftlerin schon sehr viel zu tun. Aber die Altstadtseite des Neckars kenne ich weniger. Ab Mitte November wollen wir alle Fakultäten besuchen und dort den Fakultätsvorständen, den Wissenschaftler:innen und explizit auch den Studierenden begegnen. Dabei möchten wir sowohl die Highlights als auch die Herausforderungen der Fakultäten kennenlernen.
Welche ist die größte Herausforderung, der sich die Uni aktuell stellen muss?
Der Exzellenzwettbewerb: Er ist wichtig, um weiterhin die besten Studierenden und Wissenschaftler anzuziehen. Und das zusätzliche Geld bietet uns die Möglichkeit, Neues an der Uni auszuprobieren. Ansonsten sind die wachsenden Energiekosten eine weitere Herausforderung und ganz klar das Thema Nachhaltigkeit.
Wir müssen als Institution an allen Ecken und Enden schauen, wie wir noch ressourcenschonender handeln können – aber auch, wie wir noch erfolgreicher zu Themen der Nachhaltigkeit forschen können. Denn wir sind diejenigen, die Lösungen für unsere Gesellschaft suchen wollen und sollen. Dafür brauchen wir optimale Forschungsbedingungen, auch wenn sie viel Energie kosten. Studierende hervorragend auszubilden, damit sie später an allen Orten der Gesellschaft dazu beitragen können, Lösungen zu finden – auch darauf basiert unsere Daseinsberechtigung.
Alles für eine lebenswerte Zukunft geben: Damit teilt die Uni ihr Ziel mit Klimaaktivist:innen – zum Beispiel mit der Letzten Generation. Diese kritisierte die Uni aber durch eine Farbattacke.
Wie gehen Sie mit diesem Konflikt um?
Wir unterscheiden uns nicht im Ziel, wir unterscheiden uns drastisch auf dem Weg dorthin. Alles zu verbieten, was Energie verbraucht – damit lösen wir das Problem der Welt nicht. Ich denke, es ist der falsche Weg, alle Leute zu beschimpfen und ihnen zum Beispiel pauschal Flugscham einzureden. Wir wollen die Sustainable Development Goals erreichen, und das geht nur, wenn wir über technische Lösungen nachdenken. Plastik beispielsweise ist per se nicht schlecht. Das Problem ist, dass es im Meer landet. Ich bin optimistisch, dass wir auch dafür Lösungen finden werden.
Wie möchten Sie das schaffen?
Mit Hilfe der Naturwissenschaftler:innen für die Technik, aber auch der Geistes- und Gesellschaftswissenschaftler:innen für den Transformationsprozess, der ansteht: Ein neuer Impfstoff bringt mir nichts, wenn alle Menschen die Impfung verweigern. Wir brauchen Wissen und Kommunikation. Natürlich müssen wir zusätzlich unser persönliches Verhalten überdenken und verändern, damit es ökologisch und ökonomisch vertretbar ist.
Was möchten Sie jungen Menschen mitgeben, die sich trotzdem um die Zukunft sorgen?
Sucht euch ein Fach aus, das euch fasziniert, studiert, lernt etwas, womit ihr euren Teil dazu beitragen könnt, die großen Herausforderungen unserer Welt zu lösen.
Gibt es einen Geheimtipp, den ihr Vorgänger Bernhard Eitel ihnen als Rektorin mit auf den Weg gegeben hat?
Es gibt viele – aber die sind eben geheim.
Gibt es keinen, den sie mit uns teilen können?
Mit vielen Leuten sprechen und gut zuhören – ich denke, das ist das Wichtigste.
Das Gespräch führte Mona Gnan
...studiert Germanistik im Kulturvergleich und Geschichte. Sie schreibt seit 2021 für den ruprecht. Mona berichtet gerne über Kultur, die Welt und alle möglichen Diskurse. Eigentlich über alles, was die Gesellschaft gerade bewegt - oder bewegen sollte.
...studiert Physik im Master und fotografiert seit Herbst 2019 für den ruprecht. Von Ausgabe 200 bis Ausgabe 208 leitete er das Online-Ressort, von Ausgabe 205 bis 210 die Bildredaktion.