Die Biochemikerin Irmgard Sinning gewinnt für ihre Forschung an Proteinstrukturen den wichtigsten deutschen Wissenschaftspreis.
„Völlig geplättet!“, so beschreibt Professorin Irmgard Sinning ihre Reaktion auf die telefonische Mitteilung der Deutschen Forschungsgemeinschaft, „dass sie den Leibniz-Preis 2014 erhalten wird“. Sie habe zwar gehört, dass die Fakultät für Biowissenschaften und auch externe Kollegen sie für den Preis vorgeschlagen hätten, aber trotzdem war das Ganze „nicht auf ihrem Radar“.
Der Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preis wird seit 1985 jährlich an zehn Wissenschaftler in Deutschland verliehen, um „die Forschungsmöglichkeiten zu erweitern, sie von administrativem Arbeitsaufwand zu entlasten und die Beschäftigung besonders qualifizierter junger Wissenschaftler zu erleichtern“. Um nominiert zu werden, müssen Dritte die jeweilige Person vorschlagen. Die finale Entscheidung trifft der Hauptausschuss. Der Preis ist mit 2,5 Millionen Euro pro Preisträger der am höchsten dotierte Forschungspreis in Deutschland. Das Geld muss der Preisträger in den kommenden sieben Jahren für seine Forschungsprojekte verwenden.
Die aus Schwäbisch-Bayern stammende Biochemikerin stellt sich als „Irmi Sinning“ vor und beklagt mit einem Lächeln, dass ihr Dialekt häufig ins Fränkische geordnet würde, was so gar nicht stimme. Sie ist seit 2000 Professorin für Biochemie und Strukturbiologie am Biochemie-Zentrum der Universität Heidelberg (BZH) und war von 2006 bis 2010 auch die Geschäftsführende Direktorin des Instituts.
Ihre Arbeitsgruppe beschäftigt sich mit „Molecular machines in protein targeting und membrane protein biogenesis“. Es geht dabei um „große zelluläre Maschinen und ihre Funktion“, erklärt Sinning. Hierzu verwendet die Arbeitsgruppe die Technik der Röntgenkristallographie. Die zu untersuchenden Proteine müssen dafür kristallisiert und mit Röntgenstrahlen beschossen werden. Aus dem entstehenden Beugungsmuster lässt sich die dreidimensionale Struktur des Moleküls bestimmen. Allerdings wird heutzutage nicht nur die Struktur eines Proteins untersucht, sondern auch dessen molekulare Arbeitsweise, wofür zusätzliche Experimente nötig sind.
Bei so vielen verschiedenen Aufgaben wundert es nicht, dass in Sinnings Labor sehr interdisziplinär gearbeitet wird. Wie schwierig ist denn die Technik? „Die Bereitschaft, die Methodik zu erlernen und das naturwissenschaftliche Grundverständnis müssen da sein“, sagt Sinning. Inzwischen gäbe es nur noch wenige „Hardcore-Kristallographen“, die sich ausschließlich mit der Proteinkristallographie beschäftigen.
Sinning ist ganz zufällig zur Kristallographie gekommen. Nach einem Studium als Lebensmittelchemikerin an der Ludwig-Maximilians-Universität München, wechselte sie für ihre Promotion in das Labor des späteren Nobelpreisträgers Hartmut Michel am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried. Als dort ein Chemiker für ein anfangs analytisches Projekt gesucht wurde, übernahm sie die Aufgabe. Dann promovierte sie und führte als Postdoc am Max-Planck-Institut für Biophysik in Frankfurt die Arbeit bei Hartmut Michel fort. Nach einem Aufenthalt in Schweden leitete sie eine Arbeitsgruppe am Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie (EMBL) in Heidelberg, bevor sie dem Ruf auf die Professur an das Heidelberg Biomedizinzentrum folgte.
Mit den Geldern will sie voraussichtlich neue Geräte beschaffen und Mitarbeiter einstellen. Die Projekte sollen weitergeführt werden. Sehr positiv am Leibniz-Preis sei auch die unbürokratische Verwaltung. Werden die Mittel gebraucht, können sie einfach abgerufen werden. Ein Problem in der Wissenschaft ist nämlich das kontinuierliche Suchen nach Drittmitteln für die Forschung.
Für was wird nun die Forschung der Arbeitsgruppe später gebraucht? Da es Grundlagenforschung ist, steht vor allem der Erkenntnisgewinn im Vordergrund. Wie funktionieren Proteine und wie reagieren sie auf Veränderungen? Eine solide Grundlagenforschung sei die „Basis für alle weiteren Anwendungen und Entwicklungen“. In vielen anderen Ländern werde immer mehr in die anwendungsorientierte Forschung investiert. Irmgard Sinning ist erleichtert, dass ein solch hoch dotierter Forschungspreis in Deutschland auch die enorm wichtige Grundlagenforschung unterstützt.
Was ist nun das Erfolgsrezept für den Leibniz-Preis nominiert zu werden und ihn auch zu gewinnen? Die Bereitschaft, sich tief in eine Thematik einzuarbeiten müsse vorhanden sein, vermutet Sinning. Man müsse sein Herzblut geben und Frustphasen aushalten können. Man müsse aber auch ein bisschen Glück haben, um zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. So wie Irmgard Sinning zur Stelle war, als man einen Chemiker suchte.
von Monika Witzenberger