Das von den US-Amerikanern 1945 gegründete Wohnheim entwickelte sich zur Hochburg der Linken. Wie die ehemalige Heimat linker Studierendenpolitik zum Prachtbau unpolitischer Verwaltung wurde
Jeder Studierende kennt das Gebäude in der Seminarstraße Nummer zwei, wo die zentrale Studienberatung sitzt. Ob man sich umschreiben will, einen verlorenen Studiausweis wiederfinden oder einen vorhandenen validieren möchte – für viele Verwaltungsakte muss man in das Gebäude mit dem Namen ‚Carolinum‘. Doch so unscheinbar und trist wie die Verwaltung hier wirkt, so kühl, sachlich und funktional ging es nicht immer zu.
Wo fängt man am besten an diese Geschichte zu erzählen? Vielleicht sollte man dem Sprichwort „Nomen est omen“ folgen, denn das Carolinum hieß bis 1977 Collegium Academicum (CA). Das Collegium Academicum war ein selbstverwaltetes Wohnheim, das 1945 auf Initiative der Amerikaner gegründet wurde, um eine demokratische Elite heranzubilden. Es bot neben günstiger Unterkunft auch Raum für politische Diskussionen und kulturelle Veranstaltungen. Dem Prinzip der freien Meinungsäußerung verbunden duldeten die Kollegiaten das ganze Spektrum politischer Couleur. Trotz dieser Offenheit trat das CA kaum hinaus in die Stadtöffentlichkeit.
Das änderte sich ab Mitte der 1960er Jahre mit der beginnenden Studentenbewegung. Das CA war neben dem Wohnheim Klausenpfad in Neuenheim und der Aula der Neuen Uni der zentrale Ort für Frauen- und Schwulengruppen, die studentische Zeitschrift „forum academicum“ und für das Studentenparlament, den Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA) wie auch den Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS). Die Geschichte der beiden letzteren war besonders eng mit dem CA verknüpft: Ende November 1970 fand im CA die große Generaldebatte des SDS nach dessen Verbot statt – Grundlage für die Zersplitterung in die sogenannten K-Gruppen, die sich nach dem Niedergang des SDS bildeten und als kommunistische Kleinparteien beziehungsweise Vereinigungen häufig untereinander verfeindet waren. Der linksdominierte AStA tagte bis zu seiner Auflösung 1977 ebenfalls in dem Gebäude – kein Wunder, dass die Verfasste Studierendenschaft zeitgleich mit der Umwandlung zum Verwaltungsgebäude verboten wurde. Im Rahmen des „Deutschen Herbstes“ stand jede linke Organisation unter dem Verdacht, revolutionäre Zelle zu sein. Erst 2012 gab es an der Universität Heidelberg wieder einen Studierendenrat. Doch war das CA auch Schauplatz der Revolte gegen das, was man als verkrustete gesellschaftliche Strukturen betrachtete – nicht zuletzt innerhalb der linken Szene. So verschafften sich Frauen 1969 mit einem Nackt-Go-In Zutritt zu den Duschen, um ihre Aufnahme in das Wohnheim zu erzwingen. Zuvor hatten die Kollegiaten die fehlende bauliche Trennung zwischen Männer- und Frauenduschen als Grund angeführt, keine Frauen aufzunehmen.
Der Ort solch spektakulärer politischer Proteste, der zentrale Ort der „1968er“ in Heidelberg, schloss seine Tore als selbstverwaltetes Wohnheim bereits eine Dekade später. 1975 beschloss man die Schließung des CA und die Umwandlung in ein Verwaltungsgebäude. Die anschließende Besetzung für mehr als drei Jahre erregte bundesweit Aufmerksamkeit. Dennoch stürmten am 6. März 1978 zwischen 700 bis 1500 Polizisten das Gebäude, zerstörten es mit Kettensägen und Äxten und machten es zum geruhsamen Ort, wo Studierende nicht mehr selbst walten, sondern verwaltet werden.
Von Simon Stewner
...studiert im Global History im Master of Arts und ist seit Oktober 2023 beim ruprecht. Er interessiert sich sowohl für (stadt-)historische als auch gesellschaftliche Themen. Wenn er nicht gerade über seinen nächsten ruprecht-Artikel nachdenkt, unterstützt er die Bildredaktion.