Ein Stein im Heidelberger Stadtwald erinnert an den deutschen Kolonialismus, nicht an die Kolonialverbrechen
Am südöstlichen Rand von Heidelberg am Waldrand unweit des Ehrenfriedhofs steht ein unscheinbarer Gedenkstein. Erinnern soll er laut seiner Inschrift an „die 40-jährige Kolonialgeschichte des Deutschen Reiches“. Doch dieser Abschnitt der Geschichte ist heute ähnlich wenig beachtet wie das Denkmal selbst.Angefangen hat er am 24. April 1884 mit Gründung der ersten deutschen Kolonie: Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia. Das Land war wirtschaftlich wenig vielversprechend, die Deutsche Kolonialgesellschaft erwarb jedoch große Gebiete von den Ureinwohner:innen in der Hoffnung, das Territorium als weiteren Lebensraum für Deutsche zu erschließen. Ermöglicht wurden die Käufe, weil die indigenen Bevölkerungsgruppen keinen Privatbesitz von Land kannten. Die folgende Verdrängung aus ihren Weidegebieten bedeutete vor allem für die größte Völkergruppe, die von der Rinderhaltung lebenden Herero, eine Existenzbedrohung. Viele sahen sich gezwungen, Lohnarbeiter:innen für die Kolonialherren zu werden oder Schulden aufzunehmen.
„Insgesamt kosteten von Trothas Taten 75.000 Menschenleben“
Die wirtschaftliche Not kombinierte sich mit der Wut auf die rassistische Behandlung durch die Deutschen. Für sie waren Herero Menschen zweiter Klasse, so war zum Beispiel die Vergewaltigung von Herero-Frauen durch weiße Siedler üblich und straffrei. Im Januar 1904 begannen die Herero unter ihrem Oberhäuptling Samuel Maharero mit dem bewaffneten Aufstand gegen die Siedler:innen. Zwar gelangen den Aufständischen in den ersten Monaten Erfolge, doch hatten sie sich in der Stärke der Kolonialmacht getäuscht.
Das Deutsche Reich entsandte weitere 14.000 Soldaten nach Deutsch-Südwestafrika und unterstellte sie dem für seine Brutalität berüchtigten Generalleutnant Lothar von Trotha.Da es den deutschen Truppen nicht gelang, die Herero bei der finalen Schlacht am Waterberg am 11. August 1904 einzukesseln und zu vernichten, flohen die Herero mitsamt ihrer Angehörigen in die Omaheke-Wüste. Deutsche Soldaten riegelten daraufhin die Wüste ab und von Trotha ließ die Flüchtenden von allen Wasserstellen mit Gewalt vertreiben, sodass der Großteil der Herero, die dorthin geflohen waren, verdursteten.
Dennoch gab von Trotha im Oktober 1904 den Vernichtungsbefehl: „Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr erschossen, ich nehme keine Weiber und Kinder mehr auf, treibe sie zu Ihrem Volk zurück oder lasse auf sie schießen.“ Gefangengenommene Herero wurden in Konzentrationslager gesperrt, wo sie unter unmenschlichen Bedingungen und Zwangsarbeit leiden mussten, etwa die Hälfte verstarb.Aus Angst vor einem ähnlichen Schicksal erhoben sich kurz darauf die Nama. Dieser Aufstand ist weniger erforscht und war über einen längeren Zeitraum erfolgreich als die Kämpfe der Herero. Dennoch erlitten sie ein ähnliches Schicksal: der Aufstand wurde blutig niedergeschlagen, viele Nama in denselben Konzentrationslagern interniert. Insgesamt kosteten diese Taten des Deutschen Reichs um die 65.000 Herero, etwa 75 Prozent des gesamten Volkes, und weiteren 10.000 Nama das Leben.
Sie wurden ermordet, verdursteten in der Omaheke-Wüste oder starben in Konzentrationslagern. Forscher:innen verstehen dies heute als den ersten Genozid des 20. Jahrhunderts. Doch bis die deutsche Bundesregierung den Völkermord anerkannte, dauerte es bis zum Juli 2016. Auch in der Öffentlichkeit wird dem Genozid kaum Aufmerksamkeit zuteil. Bis 2009 gab es in Deutschland kein Denkmal, dass an den Völkermord erinnerte. Erst in diesem Jahr ergänzte Berlin-Neukölln einen Gedenkstein, der an dem Genozid beteiligten Soldaten gewidmet war, um eine Platte, die an die Opfer erinnert. In Heidelberg dagegen steht der Kolonialstein unkommentiert, errichtet von der deutschen Kolonialgesellschaft, nicht im Gedenken an die Opfer des Kolonialismus, sondern nur an den Verlust der Kolonien. Ein Mahnmal einer bis heute nicht aufgearbeiteten Geschichte.
Von David Hildebrandt und Pauline Zürbes
...studiert Physik und schreibt seit dem Wintersemester 2023 für den ruprecht. Neben natürlicherweise der Wissenschaft, schreibt er hier vor allem für die Ressorts Heidelberg und Hochschule.
...studiert Übersetzungswissenschaft im Master und fotografiert seit dem Wintersemester 2023/2024 für den ruprecht.