Über CO2-Zertifikate versucht die EU, Marktmechanismen für den Klimaschutz zu nutzen. Was dabei schiefläuft
Was haben Heidelberg Materials, BASF und die Stadtwerke gemeinsam? Sie sind Teil der 10.000 größten Treibhausgasemittenten, die zusammen für etwa 40 Prozent der EU-Emissionen verantwortlich sind. Sie gehören damit zu den Unternehmen, die am europäischen Emissionshandel teilnehmen müssen.
Jährlich gibt es für diese Unternehmen eine feste Anzahl an Emissionszertifikaten zu kaufen. Pro Zertifikat darf ein Unternehmen nur eine Tonne CO2-Äquivalente ausstoßen, sonst droht eine Geldstrafe. Sind noch viele Zertifikate zu vergeben, sinkt ihr Preis, wurden schon viele genutzt, steigt der Preis pro Tonne CO2. Geld regiert bekanntermaßen die Welt, und genau daraus versucht die EU beim Emissionshandel Profit fürs Klima zu machen. Doch das System der EU hat einen großen Haken, den Ökonomen auch den Wasserbetteffekt nennen. Sitzt man zu zweit auf einem solchen Bett, sinkt man gleich tief ein. Steht eine Person nun auf, sinkt die andere weiter ein als zuvor.
Verbraucht ein Unternehmen weniger Treibhausgase und steht somit vom bildlichen Wasserbett auf, kann es das unverbrauchte Zertifikat am Markt weiterverkaufen. Die angebotene Menge an Zertifikaten ist damit gestiegen und der Preis sinkt. So können andere Unternehmen für weniger Geld mehr CO2 ausstoßen. Ein Unternehmen in der EU, das freiwillig weniger Treibhausgase ausstößt, bezuschusst so gewissermaßen die Unternehmen, die gerne mehr ausstoßen möchten.
Für Unternehmen, die noch nicht unter die EU-Regelungen fallen und dennoch Emissionen ausgleichen wollen, gibt es einen komplizierten und wachsenden Markt für freiwillige Zertifikate. Die Anbieter sorgen über bestimmte Maßnahmen wie Aufforstungen dafür, dass CO2-Emissionen eingespart werden, und verkaufen die Bestätigung für diese Einsparung dann an Unternehmen. Wie seriös das ist, wird oft diskutiert. Was motiviert Unternehmen zum Kauf? Einigen Unternehmen geht es vor allem um die kosteneffiziente Reduzierung ihrer CO2-Emissionen, wofür entsprechend günstige Zertifikate erworben werden. Anderen geht es darüber hinaus stärker um die Öffentlichkeitswirkung, weshalb Projekte mit eher lokalen Auswirkungen gewählt werden, wie erneuerbare Energien für einzelne Orte.
In allen Fällen spielt der Eindruck der CO2-Neutralität eine große Rolle. Da der Kauf von freiwilligen CO2-Zertifikaten zu einer doppelten Zählung der vermiedenen Emissionen durch Käufer:innen und Anbieter:innen führt, wird von immer mehr Seiten der sogenannte Financial Contribution Claim gefordert. Unternehmen sollten sich demnach auf finanziellen Beitrag zum Klimaschutz statt auf CO2-Neutralität berufen. Dazu ist allerdings nicht einmal jedes zehnte deutsche Unternehmen bereit.
Auch in der Auswahl der zu kompensierenden Emissionen wird deutlich: Außenwirkung zählt. So werden sehr häufig Aktivitäten durch Zertifikate ausgeglichen, die besonders in der öffentlichen Kritik stehen, wie geschäftliche Reisen. Dank des öffentlichen Diskurses um die Vertrauenswürdigkeit der kaufbaren Zertifikate achten Unternehmen mittlerweile stärker auf die Seriosität der Anbieter. Insgesamt wird der Markt für freiwillige Emissionsreduktion also nicht nur größer, sondern auch besser. Ob sich dieser Trend fortsetzt, wenn Unternehmen sich nicht mehr glaubwürdig auf Emissionsneutralität berufen können, ist aber fraglich.
Ist der CO2-Preis zum Scheitern verurteilt? Nicht unbedingt. Eine Möglichkeit wäre, einen festen internationalen Preis pro Tonne CO2-Äquivalente auszuhandeln. Auch die Entwicklung von Kompensationsmethoden, mit denen wir uns tatsächlich CO2-Freikarten kaufen könnten, ist wichtig. Bis dahin ist das beste Weihnachtsgeschenk, das man der Erde machen kann: den großen Unternehmen ein EU-Emissionszertifikat vor der Nase wegzukaufen und es nicht zu benutzen.
Von Bastian Mucha und Lena Hilf
Die gute Nachricht …
Portugal hat es geschafft, das Land sechs Tage am Stück ausschließlich mit nachhaltigen Energien zu versorgen. Gaskraftwerke standen bereit, um ihre Energie ins Stromnetz einzuspeisen, doch dank starken Winden und viel Regen konnte genug Strom produziert werden. Portugal setzt auf ein breites, komplementäres Spektrum an nachhaltigen Energien, um bei jeder Wetterlage von fossilen Energieträgern unabhängig werden zu können.
Von Heinrike Gilles
...studiert irgendwas mit Naturwissenschaften (Molekulare Biotechnologie) und schreibt seit Sommersemester 2023 für den ruprecht. Neben der Leitung der Bildredaktion ist er vor allem für Illustrationen, Wissenschaft und Satire immer zu haben.
...studiert Physik und schreibt seit Oktober 2019 für den ruprecht. Besonders gerne widmet sie sich Glossen, die oft das alltägliche Leben sowie wissenschaftlichen oder politischen Themen. Seit April 2021 leitet sie das Ressort Hochschule.
...studiert molekulare Biotechnologie und ist seit dem Sommersemester 2023 beim ruprecht. Meistens schreibt sie wissenschaftliche Artikel oder über das studentische Leben. Seit November 2023 kümmert sie sich außerdem um die Website und den Instagram-Kanal des ruprecht.
...studiert Übersetzungswissenschaft im Master und fotografiert seit dem Wintersemester 2023/2024 für den ruprecht.