Die Kritik am Konsum digitaler Medien ist so alt wie diese Medien selbst. Sie demokratisieren Wissen, loben die Einen. Sie verhindern selbstständiges Denken, kritisieren Andere. Schadet das Internet de Allgemeinbildung?
Man erinnere sich: Als Wikipedia aufkam, ging ein Aufschrei durch die akademische Welt, da nicht handverlesene Experten,sondern Jedermann an der enzyklopädischen Sammlung des Wissens teilnehmen und so das Projekt aus dem 18. Jahrhundert mitvollenden konnte. An Gymnasien und Hochschulen war es denn auch verboten, aus Wikipedia zu zitieren, denn das was dort drin stand, konnte nur unseriös sein. Erst langsam las man dann in einschlägigen Berichten der Feuilletons, dass Wikipedia-Beiträge gar nicht so schlecht sind – und manchmal die Lexikonbeiträge renommierter Enzyklopädien sogar in ihrer Qualität übertreffen. Heute – etwa zwanzig Jahre später – sind die traditionellen Lexika verschwunden und Wikipedia ist als unbestrittener Leader zurückgeblieben. So wird die 21. Auflage der Brockhaus-Enzyklopädie von 2006 die letzte bleiben. Nicht alle Kritiken an Wikipedia sind allerdings verstummt – etwa wenn interessengebundene Personen da eifrig mitschreiben. Aber auf der anderen Seite vermitteln die Versionsgeschichten der einzelnen Artikel auch eine Transparenz, die es beim herkömmlichen Lexikon nicht gab. So kann man dann leicht selbst entdecken, dass Politiker von Autoren, die ihnen nahestehen, porträtiert wurden.
Doch es ist nicht allein Wikipedia, welches das Internet für Studierende unverzichtbar macht. Es gibt die angebotenen Kollaborationsformen mit Tools wie Google Doc oder Online-Speicher wie Dropbox zum schnellen Datenaustausch. Immer mehr kommen wissenschaftliche Online-Zeitschriften auf, die genauso seriös sind, wie die Print-Fachzeitschriften. Und manche Autoren stellen ihre Beiträge erst einmal als Preview ins Netz, um sich von Kolleg/innen ein Feedback einzuholen. Wer also aktuelle Informationen für seine wissenschaftliche Arbeit benötigt, tut gut daran, sich auch auf dem Netz zu orientieren. Auch international ist es seit den Zeiten des Internets leichter sich mit Kolleg/innen aus der ganzen Welt zu vernetzen und miteinander zu diskutieren oder sich auf die neusten Erkenntnisse im eigenen Kulturkreis zu informieren. Schwierig ist es allerdings, die riesigen Informationsströme im Netz kompetent zu nutzen. Denn da steht der klügste Artikel bei einer Suche neben den grundlosesten Behauptungen. Hier den Durchblick zu finden und die Spreu vom Weizen zu trennen, das kann man als Bildungsrisiko bezeichnen. Aber in Wirklichkeit handelt es sich um neue Bildungsansprüche, die mit dem Aufkommen des Netzes zu formulieren sind. Studierende brauchen heute Informationskompetenz – nämlich die Fähigkeit, im Internet sachgerecht zu recherchieren und Informationen kritisch zu beurteilen. Das kann über anerkannte Informationsanbieter im Internet geschehen oder dass man Fakten im Double-Check Verfahren prüft, um eine unabhängige Zweitmeinung zu finden. Die Vermittlung und Unterstützung von Online-Kompetenz muss man anpacken, anstatt über vermeintliche Bildungsrisiken zu lamentieren.
Heinz Moser (Dozent für Medienpädagogik in Zürich und Kassel)
Und hier geht es mit einem Klick zum Pro: JA, das Internet ist ein Bildungsrisiko, sowie zur Umfrage zum Thema unter den Heidelberger Studenten, und dem Leserbrief