Argentiniens neuer Präsident Javier Milei gibt sich als großer Reformer. Der Erfolg seiner radikalen Ansätze ist zu bezweifeln
„Zeig mir deine Hunde und ich sag dir, wer du bist.“ Bei Javier Milei, Argentiniens frisch gewähltem Präsidenten, sind es vier an der Zahl und die sind allesamt das genetische Ebenbild ihres innig geliebten Vorgängers. Um seinen verstorbenen Mastiff zu verewigen, ließ er dessen Erbgut kostspielig klonen. Benannt nach den Ökonomen Milton Friedman, Murray Rothbard und Robert Lucas geben die vier Klon-Hunde nicht nur einen Ausblick auf die eher harmlosen Kuriositäten des politischen Newcomers, sondern auch darauf, wofür Milei steht: Anarchokapitalismus. Der Markt regelt, und zwar alles. Der Staat ist für ihn nur ein Hindernis, das Instrument einer elitären Kaste von Politiker:innen. Darum betrieb Milei mit radikalen Vorschlägen Wahlkampf. Der Dollar soll den Peso als Zahlungsmittel ersetzen, die Hälfte der Ministerien soll aufgelöst, der Staatsapparat zersägt werden.
Das kam bei den Wähler:innen gut an. Die Radikalität des Mannes, der seine reißerischen Aussagen im Wahlkampf gerne mit einer laufenden Kettensäge untermalte, ist für viele Argentinier:innen wohl ein letzter Ausweg aus dem anhaltenden Niedergang des Landes. Nach Jahrzehnten der Dauerkrise, Inflationsraten von weit über 100 Prozent sowie grassierender Armut herrschen Desillusionierung und Verzweiflung.
Krisenbewältigung durch beinharten Kapitalismus – die Idee ist nicht neu. Mileis Vorbild Milton Friedman und die Denker der Chicagoer Schule haben ihre marktradikalen Ideen schon in den 1970er Jahren unter der Pinochet-Diktatur im benachbarten Chile fleißig ausprobiert – und sind nach anfänglichen Erfolgen krachend gescheitert. Die Folge der umfangreichen Deregulierungen, vor allem des Bankensektors sowie der Privatisierungen in vielen Bereichen waren der Einbruch der Exporte und eine schwere Schulden- krise. Dass Milei nach dem Erbgut seines Hundes nun auch wirtschaftliche Programme klonen möchte, klingt also wenig erfolgsversprechend.
Auch für die Demokratie im Land sieht es nicht allzu rosig aus. Wer sich mit dem Gedankengut der Namensvetter seiner bulligen Vierbeiner beschäftigt, sieht: Die radikale Freiheit der Anarcho-kapitalisten und die Demokratie haben ihre Schwierigkeiten miteinander. Zu unstet und anfällig für die Verlockung staatlicher Eingriffe sei die Herrschaft des Volkes, die eine Herrschaft des Marktes untergrabe.
Im Wahlkampf und in seinen ersten Amtshandlungen spiegelt sich der Konflikt wider. Mehrmals haben Milei und seine Vizepräsidentin die Verbrechen der Militärdiktatur der 1970er und 1980er Jahre sowie die Notwendigkeit der Aufarbeitungsbemühungen der bisherigen Regierungen in Zweifel gezogen. Damals waren zehntausende Menschen von einer rechtsgerichteten Militärjunta verschleppt, gefoltert und getötet worden. Kurz nach Amtsantritt reichte er zudem einen Gesetzesentwurf ein, der die Befugnisse des Parlaments bis 2025 massiv beschneiden soll. Der Exekutive sollen weitreichende Gesetzgebungs- kompetenzen zugeschlagen werden, was die Gewaltenteilung faktisch aufheben würde.
Aber unterstellen wir Milei einmal eine lupenreine demokratische Gesinnung. Selbst dann sind seine Vorhaben für die Sicherheit und individuelle Freiheit der argentinischen Bevölkerung, von der Wirtschaft ganz zu schweigen, brandgefährlich. Was schon seine nobelpreisbehangenen Vorbilder in Chile übersehen hatten: Wer Regeln abschafft, darf sich nicht wundern, wenn profithungrige Unternehmen und kriminelle Organisationen die neu gewonnene Freiheit auch ausnutzen und wenn plötzlich selbstverständliche öffentliche Güter fehlen. Schließlich rechnet es sich nicht, eine Bahnstrecke in der argentinischen Provinz zu unterhalten oder gleiche Bildungschancen für alle zu garantieren.
Auch anderweitig meint es Milei nicht so richtig ernst mit der Freiheit. Bei der körperlichen Selbstbestimmung etwa. Er ist zwar ein großer Fan von Organhandel, von Abtreibung hält er dafür aber wenig. Logik? Fehlanzeige. Frauenrechte? Leider auch Fehlanzeige. Dafür soll das Waffenrecht gelockert werden und auf allzu strenge Klimarichtlinien muss sich ebenfalls vorerst niemand in Argentinien einstellen – der Klimawandel ist schließlich eine Erfindung der Sozialisten.
Zum Glück ist es bisher aber zu bezweifeln, dass Milei seine Vorhaben in dieser Radikalität umsetzen können wird. Er hat keine eigene Mehrheit im Parlament und die enorm einflussreichen Gewerkschaften des Landes protestieren vehement. Auch außenpolitisch wird es wohl schwierig werden, die Beziehungen zu allen kommunistischen Staaten abzubrechen, wenn China der größte Gläubiger des Landes ist.
Den neuesten unter den fiebertraumartigen Gestalten der Weltpolitik von Trump bis Bolsonaro sollte man aber – wie schon diese beiden zeigen – auf keinen Fall unterschätzen. Es bleibt zu hoffen, dass die politische Realität den skurrilen Möchtegern-Dagobert zu Kompromissen zwingt, die dem gebeutelten Land letztlich doch aus der Krise helfen. Den Argentinier:innen ist es zu wünschen.
Von Mathis Gesing und Severin Weitz
...studiert Politikwissenschaft und Philosophie und leitet aktuell Seite 1-3. Er interessiert sich vor allem für Politik, Kultur, die neuesten Entwicklungen in Heidelberg und was die Studis oder ihn gerade so bewegt.
...studiert Politikwissenschaft und Geschichte und schreibt seit dem WiSe 2023/24 für den ruprecht. Besonders gerne berichtet er über Politisches aus Heidelberg und der weiten Welt oder die neusten Entwicklungen an der Uni.
...studiert Kunstgeschichte und Politikwissenschaft, seit 2021 schreibt sie über Kurioses aus Politik, Kultur und dem studentischen Leben