Weibliche Stimmen sind im Kanon und in der Verlagswelt noch immer unterrepräsentiert. Für mehr Sichtbarkeit und Diversität auf dem Büchermarkt
Bücher öffnen unser Herz für neue, spannende Themen und geben uns einen Einblick in Welten, die wir uns selbst nicht hätten vorstellen können. Es ist schön, Gedanken von anderen Menschen verschriftlicht zu sehen, es verbindet. Doch was, wenn Bücher von bestimmten Menschen ausgeschlossen, zum Teil sogar verachtet werden? Dann zählen auf einmal Werke von Autorinnen nicht mehr zu Literatur, sondern werden in die Schublade der „Frauenliteratur“ gesteckt. Was am Begriff „Frauenliteratur“ problematisch ist: Sind Bücher von Frauen so anders geschrieben, dass sie nicht in den Bereich der „normalen“ Literatur passen? Britta Jürgs, Verlegerin des Aviva-Verlags in Berlin, hat so ihre Probleme mit dem Wort „Frauenliteratur“. Sie spricht ihm historisch gesehen zwar seine Berechtigung zu, heutzutage würde er aber eher genutzt werden, um literarische Werke von Frauen abzuwerten. Dabei gibt es kein Genre, welches Frauen „besser“ oder „schlechter“ beherrschen als Männer, und auch kein biologisch begründbares Argument, Bücher von Frauen anders zu behandeln als von anderen Geschlechtern. Vor allem in älteren Werken wählten Frauen häufig andere Themen als Männer. Vielfach wird erzählt, wie die Protagonistin in einer männerdominierten Welt verstummt oder gar verschwindet. In einer Welt, die Frauen das Gefühl gibt, die eigene Stimme und die eigenen Gedanken seien nichts wert, fühlen sich viele Autor:innen fremd.
Die Studie #frauenzählen zeigt, dass Bücher von Männern auch heute noch doppelt so häufig besprochen werden wie die von Frauen. Frauen bekämen außerdem weniger Raum und würden oft nicht wahrgenommen. Dies verdeutlicht auch der derzeitige Kanon: Von 100 Büchern werden dort nur 20 von Autorinnen gelistet. Somit geht ein großer Teil der Literaturgeschichte verloren – denn Männer erinnern sich an Männer. Es geht nicht darum, männliche Autoren zu verdrängen, sondern darum, Chancengleichheit für alle zu schaffen. Auch Britta Jürgs kämpft mit ihrem Verlag gegen das Vergessen weiblicher Autor:innen: Sie verlegt ausschließlich Bücher von Frauen. Auch als Frau im Verlagswesen hat sie bereits negative Erfahrungen gemacht: „Männern mit ähnlichen (oder geringeren) Kenntnissen wurde oft mehr zugetraut, sie bekamen mehr Möglichkeiten als ich oder andere Frauen.“ Vielleicht habe sie deswegen auch ihren eigenen Verlag gründen müssen. Frauen in Führungspositionen haben es oft schwerer als Männer, hier ist das Verlagswesen keine Ausnahme. In den meisten deutschen Verlagen, die zurzeit von einer Frau geführt werden, ist diese die Erste in ihrer Position. So lange Bücher von Frauen thematisch herabgeredet, ausgegrenzt und die Frau an sich sexualisiert wird, sollte ihre Literatur besonders prägnant in unseren Köpfen sein. Literatur spiegelt nicht zuletzt die Gesellschaft wider – und was wäre diese ohne unterschiedliche Perspektiven? Das Lesen von Büchern prägt unser Denken, und wenn die Sicht von Frauen in Schulen und Universitäten fehlt, dann lernt man nur aus der Sicht von Männern. Denn unser Leseverhalten leistet einen Beitrag dazu, welche Stimmen gehört werden.
Von Julia Chantal Müller
...studiert irgendwas mit Naturwissenschaften (Molekulare Biotechnologie) und schreibt seit Sommersemester 2023 für den ruprecht. Neben der Leitung der Bildredaktion ist er vor allem für Illustrationen, Wissenschaft und Satire immer zu haben.
...studiert Politikwissenschaft und Anglistik. Sie schreibt seit April 2023 für den ruprecht, am liebsten über Politik, Kultur und Themen, die Studis betreffen. Bis Juli 2023 leitete sie das Ressort Studentisches Leben.