Ganz Heidelberg streitet über 15 Windräder. Im Konflikt zwischen Klima-und Naturschutz häufen sich die Anti-Windkraft-Flyer in den WG-Briefkästen. Auf einer Podiumsdiskussion wurde die Frage gestellt: Wie hältst du’s mit der Windkraft?
Können Sie mir den Paragraphen nennen?“, ruft Vincent Enders ins Publikum und stürzt sich direkt in die nächste Internet-Recherche. Der Redebedarf bei der von der Wähler:innenvereinigung Heidelberg in Bewegung, kurz HiB, angeleiteten Podiumsdebatte am 16. Mai ist groß. Kommunalwahl-Kandidat Enders, der an diesem Abend in der Kurfürstenanlage das „Fact-Checking“ übernimmt, kommt kaum hinterher, die Äußerungen und vermeintlichen Fakten zu überprüfen.
Die Stimmung ist aufgeheizt, die Debatte emotional. Skurril, denn das Thema ist nicht neu: Windenergie. Spätestens seitdem die Litfaßsäule am Uniplatz von riesigen Plakaten übersät ist, können sich auch Studis dem Thema nicht entziehen. Es ist soweit: In Heidberg sollen Windräder gebaut werden.
Aber warum der ganze Stress? Entbrannt ist der Streit um die letzte Stufe einer ganzen Kaskade an föderalistischen Gesetzesweiterreichungen: Mit der „Regionalen Planungsoffensive des Landes Baden-Württemberg“ soll das „Windenergieflächenbedarfsgesetz“ des Bundes vom Juli 2022 umgesetzt werden. Tatsächlich zuständig dafür, mindestens 1,8 Prozent der Landesfläche (für Windenergienutzung) bis Ende 2032 bereitzustellen, sind letztendlich aber die zwölf Regionalverbände. Die „Fortschreibung des Teilregionalplans Windenergie“ sieht die „Beteiligung der Öffentlichkeit“ und den „Dialog mit den Kommunen“ vor. Übersetzt: die Kom- munen können Standortvorschläge machen. In Heidelberg fiel die Wahl auf drei Gebiete zwischen Handschuhsheim und Ziegelhausen: der Hohe Nistler, Weiße Stein und Lammerskopf. Den Zuschlag für den Bau eines Windparks bekam eine Projektgemeinschaft aus Energiegenossenschaften und Stadtwerken.
Gegner:innen stoßen sich vor allem daran, dass Teile der Flächen in einem „Flora-Fauna-Habitat-Gebiet“, kurz FFH-Gebiet liegen, deren Zweck der Schutz seltener Arten und natürlicher Lebensräume ist. Zusätzlich ist der Lammerskopf Teil eines Landschaftsschutzgebietes. Aufgrund dieser Umstände sind nun vier Gutachten nötig, um zu beurteilen, ob und wie in den ausgewiesenen Flächen Windkraftanlagen gebaut werden können.
Obwohl die Umweltverträglichkeitsprüfungen noch ausstehen, hat die Debatte, besonders angesichts der bevorstehenden Kommunalwahl, an Fahrt aufgenommen. Das klingt zunächst gut, schließlich lebt die Demokratie auch im Lokalen vom Engagement der Beteiligten. Aktuell scheint der Diskurs jedoch wenig förderlich, ist weder sonderlich konstruktiv, noch kompromissbereit. Dass im Zuge der Energiewende auch um Heidelberg herum Windräder gebaut werden müssen, steht für die lokalen Hauptakteure außer Frage. Die Diskussion dreht sich also nur noch darum, wo genau gebaut werden soll. Doch auch diese Frage bietet ausreichend Sprengkraft für die Debatte.
Gegen die geplanten Windräder im Wald haben sich dutzende, mittlerweile gut vernetzte Bürger:inneninitiativen gebildet. Für sie ist Windkraft im Wald ein Tabu: „Der Wald ist zu kostbar, er muss als Naherholungsgebiet erhalten bleiben“, sagt Robert Dunckelmann, Vertreter der Initiative „Pro Wald-Pro Wind“ dem ruprecht. Zusammen mit den Initiativen „Lebenswerter Odenwald“ sowie „Liebens- wertes Ziegelhausen und Neckartal“ haben sie 10.800 Unterschriften gegen den Ausbau an den diskutierten Standorten in der Metropolregion Rhein-Neckar eingereicht. Als Alternative fordern sie die Prüfung von Standorten in der Heidelberger Ebene.
Ein Vorschlag, den Dr. Wolfgang Schlez für wenig sinnvoll hält. Der Umweltphysiker und Leiter einer Beratungsfirma für Unternehmen in der Windenergiebranche ist bei den „Scientists for Future“ aktiv und gibt zu bedenken, dass in Heidelberg Standorte in der Ebene aufgrund der speziellen Windver- hältnisse nicht geeignet sind: „Im besten Fall steht das Windrad still, im schlimmsten Fall haben wir einen Haufen Schrott“, erklärt er.
Andreas Gießler, der bei der Podiumsdiskussion die Energiegenossenschaft (EG) Heidelberg vertritt, berichtet außerdem, dass sich die EG bereits mehrfach auf Flächen in der Ebene beworben habe, das Verfahren sei jedoch wiederholt eingestellt worden, unter anderem aufgrund der geringen Wirtschaftlichkeit.
Alle drei Akteure sehen in Heidelberg dringenden Handlungsbedarf beim Ausbau von regene- rativen Energien. Fridays for Future fordert in der Abwägung zwischen Klima- und Naturschutz, angesichts der zukünftigen Entwicklung der Klimakrise, den Klimaschutz stärker zu gewichten. Sie würden auf die im Planungsverfahren integrierten Umweltgutachten vertrauen und betonen, dass auch die Klimakrise Natur und Artenvielfalt bedrohe.
Auf der anderen Seite warnen Gegner:innen der Windkraft vor ökologischen Schäden. Ihre Bedenken werden unter anderem von Dr. Dieter Teufel, Biologe, Mitbegründer und Leiter des Umwelt- und Prognose-Instituts Heidelberg (UPI), unterstützt. Er beanstandet, dass die entsprechenden Vorschläge des Bundesamtes für Naturschutz in Baden-Württemberg nicht beachtet würden. Zudem erklärt er, dass die gesetzlichen Umweltschutzstandards wiederholt herabgesetzt worden seien und damit ihre Schutzfunktion verlören. Auch er spricht sich für Flächen im Offenland aus.
Auch Naturschutzorganisationen wie der BUND Heidelberg stehen Windkraft im Wald kritisch gegenüber. FFH- und Naturschutzgebiete seien genauso wie „Schwerpunktvorkommen windkraftsensibler Arten“ ein Tabu. Den Standort Lammerskopf lehnt der Verband folglich ab.
Zwischen persönlichen Einschätzungen und wissenschaftlichen Fakten ist es herausfordernd, in der Diskussion den Überblick zu behalten – denn Debatten um Windkraft sind dafür bekannt, dass der sachliche Umgang mit Fakten nicht immer an erster Stelle steht. Als Beispiel: Die Bürgerinitiative „Now Ziegelhausen“ warnt auf ihrer Website vor der „Brandgefahr durch immer häufiger herunterfallende brennende Rotorblätter“. Zum Glück ist diese Angst unbegründet. Laut Schätzungen des Bundesverbandes für Windenergie e.V. brennen in Deutschland im Jahr fünf bis zehn Windräder – und das bei insgesamt fast 30.000 Anlagen. Anders gesagt: ein einzelnes Windrad brennt im Schnitt alle 4500 Jahre. Hätten die alten Ägypter also ein Windrad auf eine ihrer Pyramiden gestellt, sollten wir uns tatsächlich langsam Sorgen um den Brandschutz machen.
Auch während der Podiumsdiskussion am 16. Mai verlaufen die Grenzen zwischen Fakten und Meinung fließend. Beteiligt an der Debatte sind auf der einen Seite Pro Wald-Pro Wind sowie Dr. Dieter Teufel, auf der anderen Seite die EG und Dr. Wolfgang Schlez. Obwohl alle Beteiligten betonen, dass sie sich einen offenen und ruhigen Austausch wünschen, ist die Stim- mung konfrontativ. Bereits bei ihren jeweiligen „Impulsvorträgen“ wer- den die Referent:innen immer wieder durch Zwischenbemerkungen aus dem Publikum unterbrochen. In den zahlreichen Versuchen, eine konstruktive Auseinandersetzung zu gestalten, entstehen zunehmend absurde Szenen: Ein von den Bürgerinitiativen aufgestelltes Windrad-Modell wird auf seine Maßstabstreue geprüft (Ergebnis: korrekt); Andreas Gießler von der EG beginnt mit der Skizze eines Waldes („Nennen Sie mir ein Waldtier!“); Und angetrieben durch die Überprüfung fast aller Thesen in Echtzeit wird die Diskussion zunehmend zur „Datenschlacht“. Nach knapp dreieinhalb Stunden geht die Diskussion ohne wirkliches Ergebnis, dafür mit schwirrenden Köpfen und erhitzten Gemütern zu Ende.
Ob der Abend zu einer Annäherung geführt hat, bleibt fragwürdig. Eine wichtige Erkenntnis wurde dafür erreicht: Wenn man einen konstruktiven Diskurs erreichen will, muss man dafür sorgen, dass dieser stattfindet, bevor der Konflikt festgefahren ist.
Denn in einem Punkt sind sich viele im Publikum und auf dem Podium einig: Bürger:innen müssen frühzeitig einbezogen werden. Birgit Müller-Reiss, Bezirksbeirätin in Handschuhsheim und Kandidatin für die Bunte Linke bei der Gemeinderatswahl, ist verärgert über das Vorgehen der Stadtverwaltung: „Anstatt sich an den eigenen Leitlinien zur Bürgerbeteiligung zu orientieren, hat die Stadt die Stadträte und die Bürger vor vollendete Tatsachen gestellt.“ Die städtischen Leitlinien sehen als Kernpunkte frühzeitige Information, Beteiligungskonzepte und -verfahren sowie die Erarbeitung von Empfehlungen – alles im Austausch von Bürger:innenschaft und Gemeinderat – vor. Die Kritik von Müller-Reiss wird von vielen Seiten geteilt: Auch im Ausschuss für Klima und Mobilität wurde parteiübergreifend die mangelnde Kommunikation durch die Verwaltung beklagt. Angesichts der Kritik merkt Wolfgang Schlez an: „Es war ein Fehler, dass die Flächen vom Land direkt und ohne vorher durchgeführte Voruntersuchungen ausgeschrieben wurden. Das macht es für das Land kostengünstiger, führt im Nachhinein jedoch zu mehr Konflikten.“ Als Gegenbeispiel bringt er die nach seinen Angaben anderorts bereits praktizierte Möglichkeit ins Spiel, die Flächen inklusive des Preises für die Gutachten auszuschreiben. „Ein besserer Vorlauf vereinfacht das ganze Verfahren“, erklärt Schlez.
Liegt die Lösung schlussendlich in einer guten Organisation? Ein besseres Vorgehen ist natürlich keine Gewähr für friedliche Debatten über Windkraft – dafür ist das Thema wohl zu politisiert. Aber eine bessere Organisation könnte eine konstruktivere Debatte ermöglichen – und damit wäre für die Akzeptanz von Windrädern um Heidelberg schon einiges gewonnen!
Im Falle unserer umstrittenen Windräder gibt es vielleicht einen Lichtblick: Sollte sich die Stadt nicht auf mindestens 1,8 Prozent Fläche einigen können, entscheidet am Ende der Regionalverband.
Von Robert Bretschi, Severin Weitz, Charlotte Breitfeld & Marei Karlitschek
stellen sich später einmal Windräder in den Garten
...studiert Politikwissenschaft und Geschichte und schreibt seit dem WiSe 2023/24 für den ruprecht. Besonders gerne berichtet er über Politisches aus Heidelberg und der weiten Welt oder die neusten Entwicklungen an der Uni.
...schreibt über Wissenschaft und Politik und am liebsten über beides in einem. Sie interessiert sich für alles, was zusammenhängt – so auch in ihrem Studienfach, den Biowissenschaften. Für den ruprecht schreibt sie seit dem Sommersemester '24.
...studiert Politikwissenschaft und Geschichte. Sie ist seit April 2024 beim ruprecht und schreibt für alle Ressorts, die sie in die Finger kriegt.
...studiert irgendwas mit Naturwissenschaften (Molekulare Biotechnologie) und schreibt seit Sommersemester 2023 für den ruprecht. Neben der Leitung der Bildredaktion ist er vor allem für Illustrationen, Wissenschaft und Satire immer zu haben.