Diskriminierung, nationalistische Ideologie und schwache Opposition – Indien, die größte Demokratie weltweit, wählt
Im Schatten des Wahlkampfes in den USA wählt auf der anderen Seite des Globus die größte Demokratie der Welt eine neue Lok Sabha, das Unterhaus des indischen Parlaments. Der amtierende Narendra Modi und sein Konkurrent Rahul Ghandi treten zum dritten Mal in Folge gegeneinander an und auch dieses Mal scheint das Wahlergebnis bereits vorbestimmt zu sein. Modi liegt mit seiner hinduistisch-nationalistischen Partei Bharatiya Janata Party (BJP) in allen Umfragen weit vor Ghandi und seiner säkular orientierten Kongresspartei.
Die indische Legislative wird aus einem Oberhaus, der Rajya Sabha, und einem Unterhaus, der Lok Sabha, gebildet. Dieses besteht aus 543 vom indischen Volk gewählten Vertreter:innen und zwei weiteren Abgeordneten, die durch die oder den Präsident:in ernannt werden. Die Koalition, die mit mindestens 345 Sitzen eine absolute Mehrheit vereinen kann, stellt den oder die Premierminister:in. Diese:r muss in Form einer Wahl durch die Lok Sabha angenommen werden.
Die Wahl des Unterhauses ist in sieben Phasen gegliedert und dauert vom 16. April bis zum 1. Juni. Mit mehr als einer Millionen Wahllokalen und 970 Millionen Wähler:innen ist die indische Parlamentswahl mit keinem anderen Unterfangen dieser Art zu vergleichen, weder im Umfang noch im logistischen Aufwand.
Historisch gesehen hat die Kongresspartei, an deren Spitze die Ghandi-Nehru-Familie steht, bisher den größten Teil des politischen Führungspersonals gestellt. Seit den 2000er Jahren hat diese Dominanz zugunsten der BJP langsam aber sicher abgenommen.
In den letzten zehn Jahren ist Indien unter Modis Führung zur fünftgrößten Wirtschaftsmacht weltweit aufgestiegen. Im vergangenen Jahr hat das indische BIP einen Wachstum von 7,6 Prozent erfahren und das Land damit zur am schnellsten wachsenden Volkswirtschaft der Welt gemacht. Abgesehen von dem enormen Wirtschaftswachstum hat Modis hinduistisch-nationalistisch geprägte Politik auch negative Konsequenzen mit sich gebracht. Die indische Gesellschaft ist bezüglich mancher Themen so polarisiert wie nie. Die BJP vertritt die Hindutva Ideologie, die darauf abzielt, Indien nach den Vorstellungen eines primär politischen und kulturellen Verständnisses des Hinduismus zu regieren. Modi inszeniert diese Ideologie als Gegensatz zur historischen muslimischen und britischen Besatzung des Landes und hat damit durchaus Erfolg.
Aus dieser politischen Leitidee resultiert unter anderem die Diskriminierung anderer Ethnien und Glaubensbekenntnisse. Insbesondere die im Norden lebenden 180 Millionen muslimischen Bürger:innen wurden während Modis bisherigen Amtszeiten zunehmend zur Zielscheibe. Eines von vielen Beispielen wäre das 2019 eingeführte Staatsbürgerschaftsrecht. Dieses ermöglicht Geflüchteten unter bestimmten Bedingungen einen schnelleren Weg zur indischen Staatsbürgerschaft, solange diese nicht muslimischen Glaubens sind. Eine dritte Amtszeit Modis würde schwere Konsequenzen für die unterschiedlichen Minderheiten, die zusammen rund 20 Prozent der indischen Bevölkerung ausmachen, mit sich bringen.
Der Wahlkampf der letzten Monate war stark geprägt durch die Rivalität zwischen Modi und Ghandi, Desinformationskampagnen, die von beiden Lagern ausgingen, sowie die innere Zerrissenheit der Opposition. Modi warf Ghandi immer wieder vor, ein Dynast zu sein, der nicht für seinen Platz in der Gesellschaft arbeiten musste. Dabei inszeniert er sich selbst als jemand, der in ärmeren Verhältnissen aufgewachsen ist und deshalb die Probleme der Armen versteht.
Dazu kommt die Uneinigkeit innerhalb des oppositionellen INDIA Bündnisses, das der BJP-geführten Nationalen Demokratischen Allianz (NDA) gegenübersteht. Manche Bündnispartner INDIAs, darunter die Kommunistische Partei Indiens (CPI) oder die AAP, die aus der landesweiten Antikorruptionsbewegung hervorging, haben die Ambition entwickelt, sich zu nationalen Parteien zu entwickeln. Dadurch kam es bezüglich der gemeinsamen Spitzenkandidierenden und dem Grundsatzprogramm zu Uneinigkeiten. Diese interne Konkurrenz schwächt die Opposition deutlich und spielt der NDA in die Karten. Außerdem hat INDIA ein ideologisches Problem: der Säkularismus, den der erste Premierminister Indiens Nehru nach der Unabhängigkeit eingeführt hat und für den insbesondere die Kongresspartei einsteht, gewinnt keine Stimmen mehr.
Alles in allem scheint eine dritte Amtszeit Modis und ein Weiterführen seiner hinduistisch-nationalistischen Ideologie unausweichlich. Damit bleibt zu beobachten, wie sich die politische sowie wirtschaftliche Lage Indiens in den kommenden Jahren weiterentwickelt.
Von Claire Meyers
...studiert Politikwissenschaften und Geschichte und schreibt seit anfangs des Wintersemester 2023/24 für den ruprecht. Besonders interessiert sie sich für Politik, schreibt aber auch gerne über Heidelberg oder kulturelle und gesellschaftliche Themen.