Zwischen Sci-Fi und Wissenschaft: Warum haben wir noch keine Außerirdischen getroffen? Die Dunkler-Wald-Hypothese bietet eine umstrittene Erklärung
Interstellarer Raum, Distanz zur Erde: 24,4 Milliarden Kilometer. Die Sonde Voyager 1 schwebt durchs All, die Sonne kaum mehr als ein heller Stern. Mit an Bord: Eine Datenplatte, die von Menschen kündet. Wie man uns findet, wie wir aussehen, sprechen, forschen und erschaffen. Die Nachricht ist einer der aufwändigsten Versuche, mit außerirdischen Spezies Kontakt aufzunehmen – und möglicherweise ein ge-*waltiger Fehler. der Insbesondere die Dunkler-Wald-Hypothese warnt davor, uns galaktischen Nachbarn zu offenbaren.
Die Theorie entstammt dem 2008 veröffentlichten Roman „Der dunkle Wald“ aus der „Trisolaris“-Trilogie von Liu Cixin, die Netflix seit 2024 verfilmt. Sie möchte erklären, warum Menschen bisher keine Aliens entdeckt haben. Jede außerirdische Zivilisation will laut der Theorie vor allem eins: Überleben. Weil bei der Entwicklung von Gesellschaften Ressourcen knapp werden könnten, möchte man sich vor Ausbeutung durch andere schützen. Man könnte zwar auch verhandeln, um Ressourcenkonflikte zu lösen, aber nur langsam. Nachrichten können höchstens mit Lichtgeschwindigkeit versandt werden. Bis die Botschaft ankommt, könnte die andere Zivilisation gewaltige Entwicklungen durchlaufen. Eine Spirale aus Misstrauen und Technologiesprüngen könnte sich entwickeln. Der sicherste Weg heraus: Zuerst angreifen. Oder gleich verborgen bleiben, wie die Dunkler-Wald-Theorie empfiehlt.
Selbst einige wissenschaftliche Veröffentlichungen greifen die Theorie auf. Georg Hildenbrand, der in Heidelberg Vorlesungen in Astrobiologie gehalten hat, steht der Theorie kritischer gegenüber. Er hält Ressourcenkonflikte für weniger wahrscheinlich. Wasser oder Atmosphären etwa seien viel üblicher, als noch zu Beginn der Raumfahrt angenommen. Und: „Warum sollten die Außerirdischen dafür extra Lichtjahre anreisen, und zwar genau zur Erde?“ Die Dunkler-Wald-Theorie verrät hier mehr über menschliche Vorstellungen, als über etwaige Aliens. Hildenbrand sieht darin eine Mischung aus der Angst vor Unbekanntem und dem Wunsch, einzigartig zu sein. Bereits die Basis der Theorie sieht er kritisch, nämlich „die Annahme, dass wir expansionistisch sind und mehr Ressourcen brauchen, als wir auf unserem Planeten zur Verfügung haben“. Zwar verhalte sich die Menschheit aktuell so, doch „eine Raumfahrtgesellschaft muss nicht so wie wir sein.“
Evolutionär scheint es nachvollziehbar, dass Aliens erobern, sich ausbreiten und vermehren. Doch damit eine Zivilisation überhaupt mit uns kommunizieren könnte, braucht sie komplizierte Technologie – was eine ausgeprägte kulturelle Evolution voraussetzt. Eine raumfahrende Gesellschaft wird wahrscheinlich mehr durch Traditionen, Organisationen und Glauben geprägt sein als durch Instinkte.
Selbst ohne Ressourcenkonflikt schweigen Außerirdische laut der Theorie lieber. Die Angst überwiegt. Eine „generelle Doktrin, die von allen Zivilisationen gleichzeitig verfolgt wird“, bezweifelt Hildenbrand ebenfalls. „Vielleicht hat ein Teil einer Zivilisation in Phasen diese Vorstellungen, aber das reicht nicht, damit alle anderen dauerhaft still bleiben.“ Wenn die Hypothese nicht alle Menschen überzeugt, gäbe es keinen Grund, sie für die zentrale Vorstellung vielfältiger Lebewesen zu halten. Auch Forschung spendet Hoffnung: Oft hilft Kooperation. Von Vögeln, die Nilpferden die Zähne putzen, bis zu Menschen, die Werkzeuge schmieden, Zusammenarbeit ist überall. „Zivilisationen auf anderen Planeten könnten ähnliche Beobachtungen machen und folgern, dass Freundschaft vielleicht wichtiger ist, als sich zurückzuhalten“, so Hildenbrandt. Die Dunkler-Wald-Hypothese zeuge hier also von einer Art menschlicher Paranoia.
Wäre Verstecken im kosmischen Wald überhaupt möglich? Hildenbrand hält das für plausibel. „Wenn die Zivilisation mit ihren eigenen Energieressourcen klarkommt, braucht sie auch keine Verschmutzung. Zunehmende Entwicklung muss nicht unbedingt bedeuten, dass man sichtbarer wird.“ Mit der Digitalisierung funken Menschen etwa immer unauffälliger und wären so schwerer zu entdecken.
Vermutungen wie die Dunkler-Wald-Theorie bringen uns möglichen Aliens wahrscheinlich nicht näher. Sie offenbaren jedoch menschliche Vorurteile, von Expansionismus bis Paranoia. Auch wenn wir weiterhin keine Aliens sichten, lohnt es sich also, gelegentlich solche Spekulation zu betrachten – und sei es für die Selbsterkenntnis.
Von Bastian Mucha
...studiert irgendwas mit Naturwissenschaften (Molekulare Biotechnologie) und schreibt seit Sommersemester 2023 für den ruprecht. Neben der Leitung der Bildredaktion ist er vor allem für Illustrationen, Wissenschaft und Satire immer zu haben.
...studiert Biowissenschaften und schreibt … nichts. Er layoutet und illustriert seit 2023 für den ruprecht.