Vier Buchstaben lang ist der Titel der Fotoserie, die aktuell im Marstallcafé ausgestellt ist. „NBSW“ – nonbinary sex worker – bezeichnet Sexarbeiter:innen, die außerhalb binärer Vorstellungen von Geschlecht leben und arbeiten. Die Fotografin Meret Eberl im Gespräch
Meret Eberl hat kürzlich ihr Studium der Fotografie an der Ostkreuzschule, einer Kunsthochschule mit dem Schwerpunkt Analogfotografie, in Berlin abgeschlossen. Für ihre Abschlussarbeit begleitete die 24-jährige Fotografin über zwei Jahre lang nicht-binäre Sexarbeiter:innen in Berlin und hielt sie in einer monumentalen Porträtserie fest. „NBSW“ war ab Mai im Rahmen des diesjährigen Heidelberger Queer Festivals im Marstallcafé in Heidelberg zu sehen. Für ihre künstlerische Arbeit wurde Meret Eberl dieses Jahr für den renommierten August-Sander-Preis nominiert.
Wie hast du den Weg zur Fotografie gefunden?
Zur Fotografie bin ich vor allem durch das analoge Fotografieren gekommen. Ich hatte wie die meisten anderen Kinder früher eine Knippskamera, das fand ich damals total toll. Das Interesse an Fotografie kam dann mit ungefähr 17, als ich die analoge Kamera meiner Eltern gefunden habe. Ich habe mich für ein Studium an der Ostkreuzschule in Berlin entschieden, dort liegt der Schwerpunkt vor allem auf dem Handwerklichen. Das hat mich in den Bann gezogen. Das langsame Arbeiten, das Warten müssen.
In deinen früheren Arbeiten ging es oft um Personen aus deinem engeren Umfeld, in deiner neuen Arbeit „NBSW“ hast du dich mit Sexarbeit beschäftigt, wie kam es dazu?
Zu Beginn des Studiums fotografiert man, was einem selbst ahe ist. Darum wollte ich für meine Abschlussarbeit bewusst den Sprung ins Unbekannte wagen. Ich wollte mir selbst beweisen, dass ich das kann.
In „NBSW“ begegnen uns Sexarbeiter:innen, aber auch Landschaften und Interieurs. Welche Verbindungen haben diese Orte zu den Menschen?
Ursprünglich war „NBSW“ als reine Porträtserie gedacht. Während der Arbeit hat sich bei mir der Wunsch entwickelt, nicht nur Porträts zu zeigen. Mich haben die Prozesse interessiert: wie ist es vor der Arbeit, während der Arbeit, nach der Arbeit? An welchen Orten findet die Arbeit statt? Es war klar, ich kann nicht in die Schutzräume eindringen, ich kann nicht den realen Park zeigen oder die reale private Wohnung, in der gearbeitet wird. Ich habe versucht, stimmungsvolle Orte zu finden, die das nachempfinden. Ich wollte Orte zeigen, wo niemand zu sehen ist, aber trotzdem eine Geschichte oder eine Begegnung erzählt wird.
Das heißt, die Orte sind von dir ausgesucht?
Ich dachte oft, das könnte problematisch sein, weil ich natürlich versucht habe, in dem Projekt alles möglichst authentisch abzubilden. Das geht in der Fotografie aber nicht, weil ich so viele Entschei-dungen treffen muss und ich da auch so zwangsläufig viel von mir selbst rein gebe.
Am Anfang habe ich noch versucht, komplett aus dem Projekt zu verschwinden, was natürlich auch nicht gut war, weil ich da meiner Verantwortung als Fotografin nicht gerecht werde. Das mit den Orten habe ich erst angefangen, als ich mich sicher in dem Projekt gefühlt habe. Ich wollte auf keinen Fall Klischees bedienen und dunkle, verruchte Räume abbilden.
Wie kam der Kontakt zu den Sexarbeiter:innen zustande?
Zuerst habe ich mich in erster Linie mit Sexarbeit beschäftigt – da war das Thema der Identität noch nicht bewusster Teil des Projektes. Mir wurde schnell klar, dass ich dafür mit Leuten reden will, die in dieser Arbeit tätig sind. In Berlin-Schöneberg hat Sexarbeit eine lange Geschichte, es gibt dort Organisationen, die sich mit dem Thema beschäftigen und zum Beispiel Führungen organisieren. Dort bin ich mit Verantwortlichen ins Gespräch gekommen, die aber gleich meinten, sie kriegen ganz viele Anfragen von Künstler:innen für solche Fotoprojekte.
Was hat dich letztendlich von den anderen unterschieden und die Organisation überzeugt?
Ich glaube, sie haben gemerkt, dass ich meine Verantwortung sehr ernst genommen habe, und dass es mir nicht darum geht, voyeuristische Bilder zu machen. In dunkle Räume zu gehen und hoffen, dass sich das verkauft.
Ich wollte genau das Gegenteil machen. Ich wollte, dass man sich die Bilder anschaut und nicht sofort an Sexarbeit denkt. Es geht mir um die Begegnung. Aber am Ende geht es auch um Macht und Grenzen. Das hat mich gepackt und beschäftigt mich immer noch. Das hängt alles so eng mit Sexualität und Identität zusammen. Das wollte ich verstehen, für mich persönlich.
Was meinst du mit Macht? Die Macht, die die Gesellschaft im Gegenzug zu queeren Sexarbeiter:innen hat?
Nein, sondern das Machtvolle, das diese Menschen ausstrahlen. Für mich hat das etwas, wenn man formulieren kann, was Identität für einen bedeutet. Da muss man sich viel mit sich auseinandergesetzt haben. Natürlich fällt der Blick immer zuerst auf die Bereiche, in denen man Nachteile hat, wenn man nicht in die binären Vorstellungen von Geschlecht passt. Aber eigentlich finde ich, ist das etwas sehr Machtvolles und auch Ermächtigendes. Aber auch das Machtgefüge Arbeit, Gesellschaft, Geld, Rollenbilder. Das alles hat sehr viel mit Macht und Hierarchie zu tun. Das meine ich mit Macht, es ist zweigeteilt.
Manchmal weicht der Blick von der Augenhöhe ab und wird heraufschauend, die Figuren werden fast monumental.
Ich glaube, ich wollte das zwischendurch auch. Natürlich geht es um Augenhöhe. Aber das sind Menschen, die sind so cool! Ich mag sie einfach sehr gerne. Jede der Personen, mit denen ich geredet hatte, hatte etwas Episches. Das hört sich kitschig an, gerade weil es ja ursprünglich um Augenhöhe ging. Aber ich hatte ganz oft das Gefühl, ich sollte in Gemälden arbeiten, ich will sie in Öl malen. Das ist wahrscheinlich in die Bilder reingeschwappt. Das ist halt einfach so passiert.
Wie waren diese Begegnungen für dich?
Aufregend! Ich durfte so viele Menschen kennenlernen. Es war jedes Mal von neuem die Balance finden zwischen lernen wollen und nicht zu viel verlangen vom Gegenüber. Niemand muss mir intime Sachen anvertrauen. Es waren am Ende aber doch sehr intime Gespräche, auch von beiden Seiten, weil ich mich auch öffnen musste. Ich habe das noch nie mit fremden – oder zumindest zu Beginn fremden – Leuten so intensiv gemacht. Das war sehr besonders.
Hat dich etwas überrascht?
Ja einiges! Ich habe super viel gelernt, sowohl über die Branche als auch über die Menschen. Mich hat überrascht, wie unterschiedlich die Menschen waren, mit denen ich in Kontakt gekommen bin, mit so unterschiedlichen Geschichten. Das war das, was ich mir zu Anfang erhofft hatte. Das wollte ich zeigen.
Ich habe auch alle sehr ins Herz geschlossen. Wie viel Bereitschaft da war, mit mir zu reden. Es war ein sehr respektvoller Austausch, obwohl ja eigentlich nur ich etwas von ihnen wollte. Das macht auch erstmal eine komische Hierarchie auf. Für diese Offenheit bin ich auch extrem dankbar, denn sonst hätte das Projekt nicht funktioniert. Das war schon sehr besonders, dass ich so nah dran durfte.
Ist das Projekt denn zu Ende oder läuft es noch?
Es ist der Versuch zumindest! Ich habe meinen Abschluss mit diesem Projekt letztes Jahr gemacht, aber es ist, seitdem ich angefangen habe, so viel passiert. Bei mir als auch bei den Personen aus dem Projekt. Innerlich wie äußerlich. Ich würde das gerne weiterführen.
Jetzt gerade mache ich eine Pause, aber es wäre mein Wunsch, das Projekt zu erweitern. Weil es sich irgendwie komisch anfühlen würde, das einfach so abzuschließen und hinter mir zu lassen. Ich habe das Gefühl, ich habe jetzt erst so richtig verstanden, was ich von dem Projekt will.
Das Gespräch führte Mara Renner
...studiert Kunstgeschichte und Politikwissenschaft, seit 2021 schreibt sie über Kurioses aus Politik, Kultur und dem studentischen Leben