Lieber Originalgemälde statt Ikea-Print: Die Plattform „Studierenden Kunstmarkt“ fördert Chancengleichheit
Mit 14 Jahren verkaufte Judit Flamich ihr erstes Kunstwerk. 50 Euro hat sie dafür bekommen. Es ging an Familienfreund:innen. „Für eine 14-Jährige sind 50 Euro nicht wenig, aber jetzt, als bildende Künstlerin, möchte man nicht bei diesen Preisen bleiben,“ sagt Judit heute. 50 Euro pro Kunstwerk, davon allein kann man nicht leben – schon gar nicht, wenn man neben dem Kunstschaffen studiert, so wie Judit. Dieses Problem erkannte der heute 30-jährige Erich Reich und gründete 2019 die Online-Galerie „Studierenden Kunstmarkt“, auf der auch Judit schon einige Gemälde verkauft hat. Die Idee hinter der Plattform? Den elitären Kunstmarkt zu demokratisieren und Kunststudierende dabei zu unterstützen, Fuß in der Branche zu fassen.
Eigentlich wollte Reich Profi-Handballtrainer und Sportlehrer werden, entschied sich dann aber doch dafür, ein Start-up für junge Künstler:innen zu gründen. Er fand es unfair, wie viel Kunst von Kunststudierenden nicht gesehen wird. Inzwischen ist Reich Vollzeit-Kurator und Kunstberater bei „Studierenden Kunstmarkt“. Seine Plattform soll Chancengleichheit im doppelten Sinne fördern: Jede:r hat die Chance, echte Originale zu kaufen, auch wenn das Budget eher knapp ist. Kunststudierende erhalten im Gegenzug eine Plattform für ihre Kunst und die Chance, diese zum fairen Preis zu verkaufen.Seit 2019 hat sich die Plattform laut Reich langsam, aber lohnend entwickelt. 2020 vermittelte die Plattform rund drei bis vier Bilder im Monat, aktuell sind es etwa sieben bis acht am Tag. Knapp 400 Kunststudierende und Absolvent:innen sämtlicher Kunstakademien aus Deutschland, aber auch aus Ländern wie Österreich oder der Ukraine sind auf der Plattform vertreten.
Judit ist über eine befreundete Künstlerin auf die Plattform gestoßen. „Sie hat drei oder vier Bilder auf einen Schlag verkauft und ich dachte: Bitte was? Das muss ich auch haben!“ Auch Judit verkaufte schnell einige Bilder. Die 24-Jährige hat einen Bachelor in Kunstgeschichte, studiert seit 2022 Restaurierung an der Universität für angewandte Kunst in Wien und macht nebenbei noch den Master in Kunstgeschichte. Manche Kunststudierende bekommen für ihre Kunst Material von ihrer Uni zur Verfügung gestellt – bei Judit ist das nicht so. Sie muss sich alles selbst finanzieren, denn ihre eigene Kunst läuft parallel zum Studium. „Es wäre schön, wenn man von Kunst leben könnte, aber ich glaube, das ist in der heutigen Welt ziemlich schwer. Entweder man muss schon tot sein oder in die richtigen Kreise kommen, damit man genügend Aufmerksamkeit und Unterstützung bekommt“, sagt Judit. Viele würden sich beruflich daher zweigleisig aufstellen. Zukunftsangst hat Judit nicht, sie verspürt auch keinen Konkurrenzdruck unter ihren Kommiliton:innen. Allein von ihrer Kunst will Judit später aber auch nicht leben, so wie es andere vielleicht anstreben. Lieber möchte sie sich ihre Arbeitszeit aufteilen: Zur einen Hälfte als Restauratorin arbeiten, zur anderen als Künstlerin. Ganz ohne Nebenjob geht es im Studium aber auch für Judit nicht: Früher arbeitete sie in der Gastronomie, inzwischen gibt sie gelegentlich Kunst-Workshops für Team-Events.
Den „Studierenden Kunstmarkt“ sieht Judit eher als zweites Standbein anstatt als Haupteinnahmequelle. Die Niederschwelligkeit der Galerie-Plattform hat für sie nämlich zwei Seiten: Manchmal fehlt ihr die persönliche Begegnung mit den Käufer:innen. Einmal benötigte Judit Geld und verkaufte deshalb ein Bild, das sie eigentlich nicht verkaufen wollte. „Irgendwann dachte ich: Toll, jetzt hab‘ ich Geld, aber mein großes Bild ist weg. Wer hat es überhaupt gekauft?“, sagt sie. Normalerweise bekomme sie Namen und Adressen der Käufer:innen. Diese Anonymität löse ein merkwürdiges Gefühl in ihr aus. Sachen physisch auszustellen, um in den Kontakt mit Käufer:innen zu treten, bleibe daher ihre Priorität.
Dass eine Online-Galerie eine analoge Galerie nicht ersetzt, das weiß auch Plattform-Gründer Reich: „Vernissagen kann ich online halt nicht machen.“ Aus diesem Grund, und auf den Wunsch der Künstler:innen, eröffnete „Studierenden Kunstmarkt“ diesen Juni eine Galerie in Leipzig. Zunächst erst probeweise, für ein Jahr. Etwa 50 Bilder sind dort aktuell zu sehen. Reich selbst hat schon einige Bilder von den Künstler:innen seiner Plattform gekauft. „Allein in diesem Zimmer hängen fünf Bilder von meiner Plattform und ich freue mich jeden Tag darüber. In den anderen Räumen hängen noch mehr“, sagt er beim Interview in seiner Wohnung. Das Wichtigste beim Kunstkauf sei für ihn, dass einem die Bilder gefallen, das empfehle er auch weiter: „Das Investment ist nur ein Add-On.“ Ein weiteres Add-On, das der „Studierenden Kunstmarkt“ bietet? Vielleicht, jungen Künstler:innen wie Judit einen brotlosen Karriereeinstieg zu ersparen, und ihnen mehr Ressourcen zum Kunstschaffen zu ermöglichen.
Von Mona Gnan
...studiert Germanistik im Kulturvergleich und Geschichte. Sie schreibt seit 2021 für den ruprecht. Mona berichtet gerne über Kultur, die Welt und alle möglichen Diskurse. Eigentlich über alles, was die Gesellschaft gerade bewegt - oder bewegen sollte.