Zum Semesterstart kann man in Heidelberg kuriose Ersti-Rituale beobachten. Doch wie sieht es in anderen Ländern aus?
Die „Ersti-Woche“ ist ein Einstiegsritual für Studierende überall auf der Welt, doch die Feierlichkeiten und Unterstützungsangebote können sich von Universität zu Universität erheblich unterscheiden. Während sich einige Studierende in Rituale und Traditionen stürzen, finden sich andere mit wenig oder gar keiner Unterstützung im Universitätsleben wieder. Höchste Zeit zu untersuchen, wie Studis in aller Welt diese entscheidende Zeit erleben.
Am Trinity College Dublin begann meine Erstiwoche mit der „Freshers Fair“, bei der die Fachschaften und Vereine ihre Stände im Innenhof aufstellen, um Erstis mit kostenlosen Stofftaschen und Energydrinks zu locken (eine erstaunlich effektive Strategie). Sobald die Nacht hereinbricht, beginnt der gesellige Teil des Orientierungsprogramms mit Pubcrawls und Clubnächten. Ein bindungsschaffendes Ereignis ist das „Kabelbinder-Event“, bei dem man im wahrsten Sinne des Wortes mit dem Handgelenk an eine andere Person gefesselt wird. Man kann sich vorstellen, wie unangenehm das beim Toilettengang werden kann.
Marie Inés, eine Medizinstudentin der Universität Coimbra in Portugal, begann ihr Studium während Corona und verpasste somit die typische Einführungsveranstaltung. Trotzdem nahm sie an der „Praxe“ teil, einer jahrhundertealten Tradition mit Initiationsritualen, die die Studierenden in das Campusleben integrieren sollen. Unter der Leitung älterer Studierender, die als „Doktoren“ bekannt sind, werden den Studienanfänger:innen „Paten“ zugeteilt und sie nehmen an verschiedenen Aktivitäten teil, darunter die „Taufe“ im Stadtfluss. In den letzten Jahren haben Kritiker:innen auf tragische Vorfälle im Zusammenhang mit der Praxe hingewiesen, um zu argumentieren, dass sie gefährlich und isolierend sein könne. Marie Inés betont jedoch die positiven Aspekte und erklärt, dass die Erfahrung ihr geholfen habe, sich trotz der mit der Coronakrise verbundenen Herausforderungen in das Universitätsleben zu integrieren.
Elsa von der University of Auckland in Neuseeland hat ihre Erstsemesterwoche als Kombination aus sozialen und akademischen Aktivitäten in Erinnerung. Es gab Präsentationen zu Berufsmöglichkeiten, eine große Club-Ausstellung und als Höhepunkt eine Toga-Party, an der rund 4000 in Laken gehüllte Studienanfänger:innen teilnahmen. Angesichts großer Besorgnisse bezüglich des Drogenkonsums bei solchen Veranstaltungen, richtet die Universität proaktiv Drogenkontrollstellen ein. Solche Maßnahmen zeigen das Engagement für die Sicherheit der Studierenden, aber auch, wie extrem der Drogenkonsum unter Erstis sein kann. Nach Elsas Erfahrung liegt der Fokus der Woche auf dem Aufbau sozialer Beziehungen.
Im deutlichen Gegensatz dazu beschreibt Marie, eine Medizinstudentin aus Marseille, ihre Erfahrungen im ersten Studienjahr als extrem isolierend. Ohne formale Orientierung begann ihr erstes Jahr mit einer einstündigen Begrüßungsrede, bevor sie sich in den anspruchsvollen Lehrplan stürzte. Von den 2000 Teilnehmenden kommen nur 500 in das zweite Jahr, in dem sie dann eine richtige Einführungswoche erleben. Während dieser Integrationswoche sei viel gefeiert worden. Marie nennt einige Nachteile: „Es wird viel Alkohol getrunken, und manchmal kann das beängstigend sein. Wenn man nicht trinken will, kann es schwierig sein, sich zu integrieren.“ Dennoch empfand sie die Integrationswoche im zweiten Jahr als positiv, vor allem im Vergleich zum ersten Jahr, welches sie, ohne jegliche Orientierungsprogramme, als eher einsam erlebte.
Giacomo und Valentina aus Venedig und Bologna berichten, dass es in Italien keine Orientierungswochen gibt. Das Fehlen organisierter sozialer Angebote, einschließlich von Vereinen und Sportclubs, macht die Integration der Studierenden schwierig. Beide sehnten sich nach einer strukturierten Einführungswoche und beklagten, dass der akademische Schwerpunkt der italienischen Universitäten wenig Raum für die persönliche Entwicklung lässt. „Wenn man keine gute Einstellung hat, ist das wirklich beängstigend und traurig“, so Valentina über ihre Erfahrungen.
Die unterschiedlichen Berichte veranschaulichen, dass Universitäten weltweit neue Studierende völlig unterschiedlich willkommen heißen. Egal, ob durch temperamentvolle Begrüßungsrituale oder das völlige Fehlen von Angeboten – es ist klar, dass die Ersti-Woche eine wichtige Rolle für den Eintritt in das Universitätsleben spielt.
Von Isabel Fellenz
...studiert Physik im Master und fotografiert seit Herbst 2019 für den ruprecht. Von Ausgabe 200 bis Ausgabe 208 leitete er das Online-Ressort, von Ausgabe 205 bis 210 die Bildredaktion.