Nach dem Ampel-Aus: Fragen über Fragen. Ob sich Olaf Scholz zu wenig durchsetzte, ein besonnener Führungsstil out ist und ob der Kanzler mit seinem Verhalten brach
Während die allermeisten noch fassungslos über den Atlantik blickten, zum Teil mit großem Unverständnis für den politischen Willen des amerikanischen Volkes, geschah am selben Abend in Deutschland genau das, was die Medien in den vergangenen Monaten ausgiebig prophezeit hatten: Die Ampel bricht.
Betrachtet man das Verhalten des Kanzlers in den letzten Jahren, Monaten und Wochen, so zeichnet sich bei den meisten ein Eindruck ab: Wenn es kritisch wird, und es ihm möglich ist, entscheidet sich der Kanzler fürs Schweigen und setzt sich ungenügend durch.
Genau dieser Eindruck hat harte, fundamentale Kritik hervorgerufen, die bei vielen Zweifel am Führungsstil und an der Kompetenz des Kanzlers weckten.
Doch ist es wirklich so, dass der Kanzler lieber ruhig blieb, anstatt auf den Tisch zu hauen? Prof. Zohlnhöfer vom Institut für politische Wissenschaft der Universität Heidelberg bestätigt den Eindruck: „Ich glaube schon, dass er sehr zurückhaltend aufgetreten ist. Es ist natürlich richtig, dass so eine programmatisch nicht besonders homogene Koalition schwer zu führen ist. In manchen Momenten hat er ein Machtwort gesprochen, oft hat er es aber auch laufen lassen.“ Trotz Meinungsverschiedenheiten, welche das Zusammenspiel der Parteien massiv behinderten, behauptete sich der Kanzler zu selten. „Bei einzelnen Fragen, wie der Verlängerung der Laufzeit der Atomkraftwerke um drei Monate, setzte er sich durch, doch viel zu oft kam dies auch zu kurz“, so Prof. Zohlnhöfer.
Doch was verspricht sich der Kanzler von einem so passiven Führungsstil? „Dass es gut ankommt“, meint Zohlnhöfer. Scholz habe lange genug mit Angela Merkel zusammengearbeitet, welche auch relativ heterogene Koalitionen führen musste. Von ihrem ebenfalls eher gediegenen Führungsstil habe er gelernt und verstanden, dass dies der Gesellschaft gefalle.
Scholz ist kein Gerhard Schröder, kein „Hol mir mal ein Bier, sonst streike ich hier“-Politiker. Merkel war das auch nie, trotzdem war sie deutlich beliebter als Scholz. Vielleicht hat es nach einem lauten Schröder eine besonnene Merkel gebraucht, nach einer besonnenen Merkel vielleicht aber keinen ebenso zurückhaltenden Scholz.
Des Kanzlers bekannte Kompromisse, welche zentral für sein politisches Grundverständnis scheinen, sind wohl nicht geglückt – Christian Linder (FDP) blieb gerade gegen Ende kompromisslos. All diejenigen, die Scholz in den letzten Monaten kritisch und als zu wenig durchsetzungsfähig betrachteten, mögen diese Ereignisse mit großer Verwunderung beobachten. Vielen scheint es, als habe dieser mit dem Führungsstil der letzten drei Jahre gebrochen. Doch, ob das wirklich stimmt?
Der Versuch, zusammenzuhalten und geschlossen zu agieren scheiterte immer wieder. Der Finanzminister fiel der Regierung regelmäßig in den Rücken und blieb kompromisslos. Scholz sprach in einer Ansprache am Abend des 06.11. von zahlreichen Vertrauensbrüchen. Aktuelle Informationen über das strategische und durchaus schockierende Verhalten der FDP, einen sogenannten „D-Day“ herbeizuführen um die Koalition zu brechen und Neuwahlen zu bewirken, zeigt das Ausmaß des zerstörten Vertrauensverhältnisses. Ebendieses Vertrauen scheint so nachhaltig zerstört, dass der Kanzler es als unverantwortlich empfindet, in dieser Regierungskonstellation weiter zu regieren.
Scholz möchte, dass seine Koalition handlungsfähig bleibt. Das war schon immer sein Ziel. Scholz hat sich entschieden: Die Regierung ist handlungsunfähig und damit nicht verantwortbar – seine Entscheidung zeigt keinen Burch mit seinen Grundsätzen, sie zeigt Konsequenz: „Wir brauchen eine handlungsfähige Regierung, die die Kraft hat, die nötigen Entscheidungen für unser Land zu treffen. Darum ging es mir in den vergangenen drei Jahren, darum geht es mir jetzt“, so Olaf Scholz am 06.11. bei der Verkündigung seiner Entscheidung.
Von Paul Böhringer
...studiert Politikwissenschaft und Germanistik an der Universität Heidelberg. Er ist Autor und veröffentlicht zusätzlich unter dem Künstlerpseudonym Paul B. Blue Musik. Seit November 2024 schreibt er für den Ruprecht über das Geschehen in der Politik und Kultur.