Luxusgut Studium – Laut dem aktuellen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts besteht kein individueller Anspruch auf Bafög. Ein Grund zur Empörung?
Das Thema Studienfinanzierung taugt als Stoff für viele Konflikte, begonnen bei Diskussionen mit den Eltern bis hin zum Herumgeschlage mit Bafög-Ämtern. „Was steht uns Studis eigentlich zu?“, ist hierbei die grundlegendste und folglich auch die strittigste Frage.
In den letzten Jahren ist die Schere zwischen den Bafög-Bedarfssätzen und dem von der Regierung festgelegten lebensnotwendigen Existenzminimum immer größer geworden. Und das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat nun entschieden: Das ist okay so. In dem Bafög-Beschluss vom 23. September 2024 stellen die Richter:innen in Karlsruhe grundsätzlich fest, dass es keinen individuellen Anspruch auf staatliche Leistungen zur Ermöglichung eines Studiums gibt.
Als Studi, besorgt von WG-Suche und Heizkostenrechnung, ist das schwer nachzuvollziehen und wirkt erstmal wie ein Schlag ins Gesicht. Aber ist es mit reflexartigem Entsetzen wirklich getan? Wir wagen einen Blick in Hintergründe und Bedeutung des Urteils.
Das Bafög muss gesellschaftliche Hürden nicht beseitigen
Entschieden wurde im Fall einer Psychologiestudentin aus Osnabrück. Sie zog gegen die Höhe ihres Bafög-Satzes für das Wintersemester 2014/15 vor Gericht. Nachdem die Klage in zwei Instanzen erfolglos war, beschäftigte sich das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) mit ihrem Fall. Die Richter:innen in Leipzig sahen tatsächlich einen Verstoß gegen die Verfassung, sie folgerten aus dem Teilhaberecht einen Anspruch von Studierenden auf ein „ausbildungsbezogenes Existenzminimum“. Da es nun um die Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz ging, leiteten die Richter:innen den Fall an das zuständige Bundesverfassungsgericht weiter. Und dieses kam in seinem Grundsatzurteil zu einem ganz anderen Ergebnis.
Konkret geht es um vier im Grundgesetz verankerte Prinzipien. Aus der Menschenwürde und dem Sozialstaatsprinzip leitet sich ein Anspruch auf die „Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums“ ab. Darüber hinaus sind Gleichheitssatz und Berufsfreiheit von Bedeutung.
Bildung und Generationengerechtigkeit sind nicht Priorität
Die Richter:innen des BVerfG argumentieren über die sogenannte „Selbsthilfemöglichkeit“, dass die staatliche Pflicht zur Gewährleistung des Existenzminimums im Falle der Ausbildungsförderung nicht greife, ganz einfach deshalb, weil Studierende doch arbeiten könnten.
Über die letzten Jahrzehnte hatte das BVerfG ein Recht auf gleichberechtigte Teilhabe am Bildungssystem etabliert, der Zugang zum Studium dürfe nicht vom Einkommen der Eltern abhängen. Nun stellt Karlsruhe jedoch fest, dass der Gesetzgeber nicht für die Beseitigung von Hürden, die den gesellschaftlichen Verhältnissen geschuldet sind, zuständig ist. Das „Recht auf gleichheitsgerechten Zugang“ komme erst dann zum Zuge, wenn dieser durch staatliche Maßnahmen selbst beeinträchtigt wird.
Wie bereits die Richter:innen in Leipzig, betont zwar auch das Verfassungsgericht die Relevanz von chancengleicher Teilhabe am staatlichen Studienangebot, leitet daraus aber – im Gegensatz zum BVerwG – eben keinen „subjektiven verfassungsrechtlichen Anspruch auf staatliche Leistungen zur Ermöglichung eines Studiums“ ab. Da dieser Anspruch also überhaupt nicht bestehe, könne die Bemessung des Bafögsatzes ihm folglich nicht widersprechen.
Karlsruhe unterscheidet damit zwischen einem subjektiven Anspruch und dem objektiven Auftrag des Staates, für gleiche Bildungs- und Ausbildungschancen zu sorgen. Handeln muss der Gesetzgeber laut Urteil erst, wenn ganzen Bevölkerungsgruppen aufgrund mangelnder Förderung ein Studium somit von vornherein verwehrt bliebe.
Das Bundesverfassungsgericht gewährt der Politik damit einen großen Handlungsspielraum, deutlich größer als zuvor das Bundesverwaltungsgerichts in seiner Einschätzung. Mit Verweis auf begrenzte staatliche Mittel, gemeint ist u.a. die Schuldenbremse, verweist Karlsruhe auf die „Priorisierungsbefugnis“ der Regierung und begrenzt damit die eigene Zuständigkeit. Faktisch wird so ein neuer Maßstab an die Herstellung gleicher Bildungs- und Ausbildungschancen gelegt, der Beschluss ist wegweisend, vielleicht sogar eine Kehrtwende. Daniel Bogoya von der studentischen Rechtsberatung Pro Bono e.V. Heidelberg, wendet jedoch ein: „Das Urteil beantwortet Fragen von 2014/15, seitdem hat sich viel geändert.“ So bleibt zum Beispiel fraglich, ab wann von einem „faktischen Ausschluss“ ganzer Bevölkerungsgruppen ausgegangen werden kann.
Kommentar
Marlene Braun studiert im Bachelor Biowissenschaften an der Uni Heidelberg. Sie muss sich ihr Studium selbst finanzieren, durch jobben und einen Bafög-Teilsatz. Bereits jetzt sieht sie, dass teilweise „die Freiheit eingeschränkt wird, zu studieren was Du möchtest, wo Du möchtest. Mieten in Großstädten wie München oder auch Köln könnte ich zum Beispiel nicht stemmen.“
Dass die Mieten des studentischen Wohnungsmarktes für viele eine Herausforderung darstellen, sollte niemanden mehr überraschen. Viele Studis leben in prekären Wohnverhältnissen, nehmen lange Fahrtwege auf sich oder müssen „von zu Hause“ studieren. Das Urteil zeigt jedoch einmal mehr auf, dass der Kern des Problems tiefer liegt. Zwar wird stets beteuert, dass man Bildung an erste Stelle setze und Generationengerechtigkeit priorisiert werde. Sobald sich jedoch Krisen abzeichnen, die Gesellschaft in Sorge verfällt, sind eben dies die vielbesagten Ecken, an denen zuerst gespart wird. Studis sind eine vulnerable Gruppe mit kleiner Lobby. Das hat sich zuletzt während der Covid-Pandemie gezeigt, als trotz aller Einwände von Studierendenvertretungen Bibliotheken noch geschlossen blieben, während in Bars längst wieder gefeiert wurde und Dozierende ihren Lehrauftrag teilweise über Jahre hinweg mit Videos abhakten.
Würde auch die nächste Regierung ihre Hinnahme der teilweise prekären Situation von Studis durch den aktuellen Beschluss des Gerichts gerechtfertigt sehen, wäre das symptomatisch für eine Gesellschaft, die jedem das Sparen lehrt, es aber selbst nur dort tut, wo nicht zu laut geschrien wird. Marlene Braun schließt: „Unser Anspruch ist nicht übertrieben. Wir wären zufrieden, wenn wir tatsächlich bekämen, was uns aktuell zusteht. Aber eben auch nicht weniger.“
Von Charlotte Breitfeld, Robert Bretschi und Xenia Dederer
...schreibt über Wissenschaft und Politik und am liebsten über beides in einem. Sie interessiert sich für alles, was zusammenhängt – so auch in ihrem Studienfach, den Biowissenschaften. Für den ruprecht schreibt sie seit dem Sommersemester '24.
...studiert Physik im Master und fotografiert seit Herbst 2019 für den ruprecht. Von Ausgabe 200 bis Ausgabe 208 leitete er das Online-Ressort, von Ausgabe 205 bis 210 die Bildredaktion.