Das Einführen von Semestergebühren für Studis aus Drittländern hat weitreichende Folgen für die akademische Landschaft des Landes
Am 9. Juni 2023 beschloss das norwegische Parlament unter einer sozialdemokratischen Regierung die Einführung von Studiengebühren für Studierende aus Drittländern. Seitdem müssen alle Studis, die nicht aus Norwegen oder dem Euroraum stammen, Studiengebühren in Höhe von 16.000 bis 22.000 Euro pro Jahr zahlen. Verabschiedet in einem der reichsten Länder der Welt, muss dieses Gesetz als Zeichen einer zunehmend isolationistischen Stimmung verstanden werden.
Nach Berichten der norwegischen Zeitung Khrono ging die Anzahl der neuen internationalen Studierenden in Norwegen aus Drittländern von 2023 auf 2024 um 43 Prozent zurück. Die Regierung schränkt somit die Fähigkeit von Universitäten, internationalen Stimmen im akademischen Diskurs Gehör zu verschaffen, stark ein. Viele Wissenschaften profitieren enorm von Multiperspektivität. Auch wenn der diesbezügliche Effekt der Gesetzesänderung nicht messbar ist, ist anzunehmen, dass die norwegische Forschungslandschaft unter ihm leiden wird.
Darüber hinaus wird norwegischen und europäischen Studierenden die Möglichkeit genommen, in Kontakt mit Menschen aus anderen Kulturen zu kommen. Menschen aus ökonomisch schwächeren Ländern wird die Chance, in Norwegen zu studieren, fast völlig verwehrt.
Mit Blick auf die norwegischen Staatsfinanzen und ihre Finanzierungsquellen ist die Entscheidung ein Rückschritt auf dem Weg zu mehr globaler Gerechtigkeit. Norwegen gehört zu den reichsten Ländern der Erde. Die bedeutendste Quelle dieses Reichtums ist die Förderung fossiler Ressourcen. Der staatliche Ölfonds verwaltet fast 1,7 Billionen Euro, die aus den Gewinnen des Öl- und Gasverkaufs sowie den daraus erzielten Renditen stammen. Pro Norweger:in sind das mehr als 250.000 Euro. Norwegen ist somit einer der größten Profiteure des globalen Wirtschaftssystems, das mitverantwortlich für den Klimawandel ist.
In Ländern des globalen Südens richtet die Erderwärmung überproportional starke Schäden an. Damit wird die Forderung begründet, dass Bürger:innen dieser Staaten Zugang zum priviligierten norwegischen Bildungssystem erhalten sollen. Stattdessen wird ihnen eine weitere Möglichkeit des ökonomischen Aufstiegs genommen.
Die Gesetzes-änderung ist ökonomisch nicht notwendig
Doch auch für Norwegen könnte die Gesetzesänderung langfristig wirtschaftlich schädlich sein. Wie in vielen anderen Industrienationen liegt die Fertilitätsrate mit 1,4 Geburten pro Frau sehr niedrig. Es ist ökonomisch aus vielerlei Gründen sinnvoll, das Bevölkerungsniveau stabil zu halten. Deswegen ist Norwegen auf Migration angewiesen.
Da Akademiker:innen in besonderem Maße zu der Stärke einer Volkswirtschaft beitragen, ist eine politische Maßnahme, die dazu führt, dass zunehmend weniger Akademiker:innen nach Norwegen kommen und dort potenziell auch bleiben, wenig förderlich.
Die Gesetzesänderung ist also nicht das Resultat einer ökonomischen Notwendigkeit, sondern könnte Norwegen langfristig eher schaden. Dies legt die Vermutung nahe, dass sie hauptsächlich im Kontext der auch in Norwegen zunehmenden Fremdenfeindlichkeit zu verstehen ist. Diese Ansicht wird zumindest von einigen Studierenden aus Drittländern vertreten. Der in der Khrono zitierte Venezolaner Miguell Rosas geht davon aus, dass es der norwegischen Regierung hauptsächlich darum gehe, Menschen, die nicht aus der EU stammen, die Migration nach Norwegen zu erschweren.
Auch in Norwegen hat die Migration in den letzten Jahrzehnten zugenommen und ist vermehrt zum politischen Streitthema geworden. Im Lichte der daraus resultierenden, zunehmend strengeren Migrationspolitik ergibt die Einführung von Studiengebühren für Menschen aus Drittstaaten Sinn.
Kurz gesagt gibt die Regierung Norwegens dem rassistischen Weltbild eines Teils seiner Bevölkerung nach. Das Land schottet sich gegen Menschen ab, die konservativen Wähler:innengruppen Angst machen und schadet sich so langfristig aus akademischer, demographischer und ökonomischer Perspektive selbst.
Von Lennard Fredrich
...studiert Physik im Master und fotografiert seit Herbst 2019 für den ruprecht. Von Ausgabe 200 bis Ausgabe 208 leitete er das Online-Ressort, von Ausgabe 205 bis 210 die Bildredaktion.