Franziska Brantner ist seit November Bundesvorsitzende der Grünen. Wir fragen die Heidelberger Direktkandidatin, welches Angebot ihre Partei jungen Menschen für diese Wahl macht.
In den Medien lesen die meisten Studis vor allem, dass Sie Vertraute von Robert Habeck sind. Wofür stehen Sie eigentlich selbst?
Ich kämpfe schon immer für europäische Integration und Souveränität, weil ich der festen Überzeugung bin, dass wir als Europäer:innen besser zusammenarbeiten müssen. Außerdem mache ich mich seit Jahren stark für sozialen Aufstieg, Bildung, Chancen für Kinder und Frauenrechte. In den letzten Jahren habe ich außerdem viel zu Innovationspolitik und Digitalisierung gemacht.
Bei der letzten Bundestagswahl haben viele junge Menschen die Grünen aus einem Gefühl des Aufbruchs gewählt. Viele sind in dieser Hoffnung jedoch enttäuscht worden. Welches Angebot machen Sie in diesem Wahlkampf jungen Menschen?
Wir stehen weiter dafür, dieses Land zu modernisieren, statt in diesen Stillstand von vor 2021 zurückzufallen. Wir sind vieles, wie den beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren, erfolgreich angegangen und haben gleichzeitig die Energiekrise abgewendet. Reicht das? Nein, aber deswegen treten wir ja wieder an. Und die Frage ist, ob man wieder zurück in dieses Dinosaurier-Denken fällt, oder ob man das Land mit einer konsequenten Modernisierung voranbringen will. Genau das steht auch jetzt wieder zur Wahl.
2021 war für 82 Prozent der Grünen-Wähler:innen Klimaschutz wahlentscheidendes Thema. Ihr Wahlprogramm ist wirtschaftsorientiert. Warum sollten junge Menschen noch die Grünen wählen?
Wir sind die einzige Partei, die beim Klimaschutz Kurs hält und nicht zurück in die fossile Vergangenheit möchte. Das haben wir in den schwierigsten Zeiten gezeigt, trotz Ukrainekrieg und Gaskrise. Wir haben es geschafft, unabhängig von russischem Gas zu werden. Wir haben den Einstieg in die Wärmewende gemacht. Den wollen die anderen Parteien jetzt wieder zurücknehmen – auch eine klare Ansage. Also Hoffnung auf die späte Einsicht? Deutschland ist jedenfalls zum ersten Mal auf Klimakurs. Wir haben zum ersten Mal überhaupt die Chance, unsere Klimaziele zu erreichen. Aber das ist auch ein „Wenn, dann…“. Wenn man jetzt sagt: „Wir wollen lieber wieder eine Regierung aus CDU und SPD, die alles rückwärtsdreht“, dann hat man für das Klima nichts gewonnen.
Das Wuppertal Institut kommt zu dem Ergebnis, dass es nur in Teilen auf die Maßnahmen zurückzuführen ist, dass wir bei den Klimazielen auf Kurs liegen. Ein großer Teil sei aber auch einfach auf die Wirtschaftsflaute zurückzuführen.
Wirtschaftskrisen führen nicht automatisch dazu, dass mehr saubere Energie genutzt wird. Aufgrund des Wegfalls des russischen Gases und der folgenden Wirtschaftskrise musste zum Beispiel zu Beginn mehr Kohle verfeuert werden.
Viele linke Studis hadern mit dem Realo-Kurs der Grünen der letzten Jahre. Wie wollen Sie in einer zukünftigen Koalition mit der CDU die eigenen Werte und Ideen auch tatsächlich durchsetzen?
Die Frage ist ja, ob der jetzige Kurs ein Realo-Kurs war…
Würden Sie nicht sagen?
Für mich ist es wichtig und realistisch, zu sagen: „Das sind die Herausforderungen – wie lösen wir sie jetzt entlang der Werte, die uns tragen?“ Diese Werte sind Nachhaltigkeit, Freiheit und Gerechtigkeit. Realo heißt für mich, dass man Tatsachen annimmt und geleitet von den eigenen Werten die besten Lösungen findet. Und dass man im Zweifel auch einen Weg geht, den man sich vor zehn Jahren vielleicht noch nicht hätte vorstellen können. Aktuell sehe ich vor allem die Herausforderung, dass Teile der Gesellschaft immer weiter nach rechtsaußen rücken. Wir dürfen der AfD kein Diskursfeld überlassen, wir brauchen also eigene Antworten. Wenn deren Antworten dann auch noch von Teilen der CDU/CSU nachgeahmt werden, ist der Diskursraum gefüllt mit rechten Antworten.
Der Gedanke ist also, dass man mit zu linker Politik mehr Felder den Rechten überlassen würde?
Wenn man real existierende Herausforderungen nicht angeht, dann werden Antidemokraten in jedem Falle Antworten, in Anführungszeichen, geben, sie werden dieses Feld nicht unbesetzt lassen. Für mich als progressive Politikerin ist es schmerzhaft, wenn man sieht: „Da haben wir wieder zu lange keine ausreichend gute Antwort gegeben. Dadurch haben wir den Raum anderen komplett überlassen.“
An welchen Stellen haben Sie das gedacht?
Ich finde, dass wir viel zu lange versucht haben, diese Angriffe auf das Bürgergeld vorbeiziehen zu lassen. Irgendwann werden Meinungen dann mehrheitsfähig. Die Frage ist daher, ab wann man auf eine öffentliche Diskussion eingeht. Manchmal steigt man in schwierige Debatten nicht ein, weil man sie nicht größer machen will oder weil andere das ausnutzen können. Bei den kommunalen Herausforderungen durch den Zuzug von Geflüchteten zum Beispiel. Dort haben wir zu spät selbst Vorschläge zur Verbesserung der Situation gemacht – und schon hatte die AfD die Debatte dominiert.
Warum glauben Sie, sind die Grünen manchmal zu zögerlich?
Dabei geht es um die Angst, dass man selbst nicht diskursstark genug ist, vor allem da der Mainstream gerade in eine andere Richtung läuft. Wir müssen schneller, offensiv und klar in der Sache diskutieren! Wir haben das ja dann auch getan bei der Frage, wie groß der Abstand zwischen dem Mindestlohn und Sozialleistungen sein soll. Es ist wichtig, Problematiken nicht zu ignorieren, ansonsten gibt es am Ende nur die eine Antwort. Und das ist im Zweifel die der Rechten. Im Unterschied zu Konservativen ist unser Anspruch als progressive Kraft, dass die Dinge besser werden. Daher ist es nicht unbedingt leicht, sich damit zurechtzufinden, dass es Zeiten gibt, in denen man alle Kraft daransetzen muss, das bisher Erreichte zu verteidigen.
Das führt ja wieder zurück zu der Frage, was man Menschen antworten würde, die genau damit Probleme haben, die sagen, dass man auch in Zeiten wie diesen sehr progressive, nicht nur haltende, Politik betreiben muss.
Ich finde, das ist immer eine Frage der Abwägung. In manchen Zeiten muss man eben auch alle Kraft daransetzen, zu verteidigen, was wir schon erreicht haben, um nicht wieder zurückzufallen, sondern wieder voranzukommen. Und trotzdem nicht den Anspruch aufgeben, dass es noch viel zu verbessern gibt.
Und das dann so auch klar zu sagen?
Ja. Wenn wir in zehn Jahren hier noch die gleichen Selbstbestimmungsrechte haben, bin ich froh darüber. Wenn man sich die Welt gerade anschaut: Wenn wir sie so gehalten und verteidigt kriegen, haben wir schon viel erreicht.
Man hat das Versprechen an die junge Generation gemacht, das Klimagesetz zu schützen. Letztendlich hat man es reformiert und dabei die Sektorenziele abgeschafft.
Ein Teil des Klimaschutzgesetzes war positiv, ein Teil war irgendwie schwierig. Ich finde, der größere Schritt war der positive: Dass die zukünftige Entwicklung der Emissionen zählt und man endlich nicht mehr nur das letzte Jahr betrachtet. Dass man schauen muss, ob das, was man vorhat, die Klimaziele überhaupt erreichen kann, war ein sehr großer Fortschritt.
Aber nützt das etwas, wenn niemand dafür verantwortlich gemacht wird?
Die Bundesregierung ist trotzdem in der Pflicht. Es ist ja auch nicht so wie die FDP es ursprünglich wollte, dass die Sektoren gar nicht mehr zählen. Klar, ein rein grünes Klimaschutzgesetz würde so nicht aussehen, aber ohne Kompromiss geht es nicht. Daher gibt es jetzt die Gesamtregierungsverantwortung für unsere Klimaziele, zu denen die einzelnen Sektoren ja trotzdem ihren Beitrag leisten müssen, im ersten Jahr und ab dem zweiten Jahr werden die einzelnen Sektoren unausweichlich in die Pflicht genommen. Wir haben neu die vorausschauende Rechnung endlich mit dabei. Ziele sind wichtig, sie müssen aber auch umgesetzt werden. Ich fand das bei uns immer richtig, im Zweifel unser gesamtes politisches Gewicht in Klimaschutzmaßnahmen zu legen. Das Gesetz an sich reduziert ja noch nicht eine Tonne CO2.
Könnten Sie diese Trendwende mit der CDU halten, wenn die gerade ankündigt, viel wieder rückgängig machen zu wollen?
Das wäre auf jeden Fall ein harter Kampf. Deswegen kämpfe ich für starke Grüne!
Wenn Sie mit Fakten argumentieren, wenn Sie sagen: „Gucken Sie sich doch mal unsere Regierungsbilanz an, wir haben dieses und jenes gemacht. Und die Wärmegeschichte war gar nicht so schlecht.“ Wenn Sie das im Wahlkampf Leuten erzählen, wie reagieren die dann? Sind die dann überzeugt?
Wir Menschen verdrängen ja auch oft, was es an schwierigen Zeiten gab. Zum Beispiel diese Angst im Winter 2022 und was da auf uns zukommen hätte können. Dazu hört man jetzt auch manchmal: „Ah ja, stimmt, Frau Brantner. Das war eigentlich schon ganz gut, dass wir jetzt von russischem Gas unabhängig sind. Eigentlich haben wir das ja auch schon recht gut hinbekommen … und stimmt, wir mussten ja alle nicht frieren.“ Das war nicht selbstverständlich. Das hätte auch ganz anders kommen können. Wenn ich nochmal daran denke, dass wir im Dezember 2021 geleerte Gasspeicher hatten und täglich weniger Gas aus Russland kam. Da haben uns CDU und SPD immer noch erzählt, dass das nichts bedeutet und Putin uns Deutschen nichts anhaben wolle. Wenn man an diese absurde Haltung zurückdenkt, sieht man: Das ist dieser Stillstand und das Negieren der geopolitischen Realitäten. Aber hilft es da, mit Fakten zu argumentieren? Mein Eindruck ist immer, dass Fakten bei einem Teil der Leute helfen. Natürlich ist das nicht ausreichend, das ist auch eine emotionale Frage. Aber mittlerweile ist es schon irre, dass Söder im Zweifel lieber mit Aiwanger und dem BSW zusammenarbeiten will.
Das ist auch demokratieschädigend, oder?
Ja. Es ist gefährlich, wenn Söder zum Beispiel sagt, dass die bayerischen Grünen, die Menschen, die in Bayern grüne Politik machen, nicht zu Bayern gehören. Das ist einfach krass. Und für andere ist er damit natürlich ein Stichwortgeber.
Junge Menschen machen in dieser Gesellschaft eine Minderheit aus. Gleichzeitig sind sie von den großen Fragen der Zeit stark betroffen. Wie wollen Sie sicherstellen, dass junge Interessen in Zukunft konsequent vertreten werden? Gerade bei großen Themen wie Schulden, Bildungsinfrastruktur, Verteidigung – Stichwort Wehrdienst.
Diese Regierung hat immerhin das größte Bildungspaket überhaupt auf den Weg gebracht: 20 Milliarden Euro über zehn Jahre. Die zehn Jahre sind hier wichtig, denn wenn die Ergebnisse gut sind, werden das zwar andere abfeiern, aber: die Schulen müssen langfristig planen. Cem Özdemir hat außerdem den Digitalpakt 2.0 auf den Weg gebracht, nachdem Frau Stark-Watzinger (FDP) das nicht hinbekommen hat. Und zum Thema finanzielle Schulden gilt, dass, wenn wir jetzt nicht investieren, die Schulden für die nächste Generation sehr materiell sein werden.
Wenn der aktuelle Haushalt nicht reicht, um die laufenden Kosten und die Investitionen in die Zukunft zu decken, müsste die Folgerung doch sein, dass man auch grundsätzlich kürzen muss.
Ich bin immer dafür, dass man erstmal überall versucht zu kürzen, Effizienzen hebt und das, was man vielleicht nicht als Priorität ansieht, erstmal einspart. Man kann nicht alles über Schulden finanzieren.
Wo wäre das dann zum Beispiel? Sozialer Bereich? Rente? Und kann man das im Wahlkampf auch so klar sagen?
Bei der Rente wird es aufgrund der Demografie herausfordernd. Renten wollen wir breiter aufstellen. Deswegen wollen wir eine kapitalgedeckte Komponente in die erste Säule einziehen. Und im sozialen Bereich könnte man allein durch die Digitalisierung extrem viel Personal- und Verwaltungsaufwand einsparen. Dass man die Sozialsysteme effektiver gestalten will, ist jetzt keine plakative Forderung, vielleicht nicht so sexy, aber es würde sehr helfen.
Wie ehrlich kann man als Politikerin damit sein, dass Dinge, die wir jetzt als selbstverständlich annehmen, es in ein paar Jahrzehnten vielleicht nicht mehr sein werden?
Das hängt ja davon ab, was noch kommt. Aber klar ist, dass wir wohl mehr leisten und produktiver werden müssen, damit wir uns diesen Wohlstand weiterhin auf diesem Level halten können.
Studis müssen sich jetzt überlegen, wem sie die Erststimme geben. Was sind drei Gründe, warum Studis Ihnen ihre Stimme geben sollten?
Heidelberg ist mein Zuhause, hier bin ich verankert. Mit mir haben alle Heidelberger:innen eine starke Stimme in der Bundespolitik. Ich kämpfe für die Wissenschaft und Universität. Diesen fantastischen Standort voranzubringen, treibt mich seit Jahren an. Zweitens ist mir wichtig, dass wir weltoffen bleiben und wir weiterhin eine Stadt sind, die Menschen aus aller Welt willkommen heißt. Wir haben in Heidelberg immer davon profitiert, wenn viele Menschen ihr Wissen und auch ihre Kraft hier bei uns mit eingebracht haben. Drittens stärke ich auch das Leben hier vor Ort, die Vereine, Fraueninitiativen und die Kultur. Da gibt es einige Initiativen, für deren Förderung ich mich eingesetzt habe.
Wir Studierende sitzen oft zwischen den Stühlen: Man lebt in einer Stadt, die Studis nicht unbedingt priorisiert. Dann gibt es das Bundesland, das eher an Forschungsförderung und Kliniken interessiert ist. Und der Bund sagt: „Wir sind dafür nicht zuständig.“
Schon als ich noch Oppositionsabgeordnete war, habe ich mich dafür eingesetzt, dass auf den Konversionsflächen in Heidelberg studentisches Wohnen möglich ist, und dass Veranstaltungen zum Beispiel auf dem Airfield möglich sind. Damals habe ich Briefe geschrieben, Gespräche geführt und Druck gemacht, damit das endlich möglich gemacht wird.
Wie sind Sie eigentlich nach Heidelberg gekommen? Was war Ihr Bezug?
Meine Mutter hat schon in Heidelberg studiert. Jura damals, in den wilden Zeiten. Das muss spannend gewesen sein. Deswegen war ich auch als Kind immer wieder hier. Später habe ich meine Promotion in Mannheim gemacht und da war für mich dann klar, dass ich in Heidelberg wohnen werde. Ich bin also für die Promotion nach Mannheim gegangen, habe aber in Heidelberg gewohnt.
Wie kann man Menschen überzeugen, die nicht die klassische Grünen-Wähler:innen sind? Nicht-Akademiker:innen oder Menschen vom Land.
Indem man ins Gespräch kommt. Ich finde wichtig, dass man als Politikerin den klaren Anspruch hat, die Probleme für alle zu lösen und für alle da zu sein. Ob die Menschen mich deswegen wählen, weiß ich nicht. Die Stimme für mich oder die Partei ist das Eine, das Andere ist der Erhalt unserer Demokratie. Gerade jetzt finde ich es wichtig, dass man bereit ist, sich im Zweifel auch mehr anzuhören und mehr auszuhalten, um überhaupt noch miteinander im Gespräch zu bleiben.
Kann man die Demokratie mit solchen Einzelgesprächen retten?
Jede Bürgerin, jeder Bürger ist da in der Pflicht, Franziska Brantner kann nicht alleine die Demokratie retten. Die Demokratie kann sich ihre Voraussetzungen nicht selbst schaffen, das können nur die Bürger:innen. Es ist die Aufgabe von jeder und jedem, mit jedem Freund, mit jeder Cousine zu reden.
Wie schaffen Sie es persönlich als Spitzenpolitikerin in Zeiten wie diesen die Motivation nicht zu verlieren?
Was mir Mut macht, sind die Menschen, die tolle Sachen voranbringen. Egal, ob das jetzt die Unternehmen, die Start-Ups, oder die Bürgerenergiegenossenschaften bei uns sind, die einfach anpacken und die Dinge vorantreiben. Da denke ich mir dann immer, man ist nicht alleine. Es gibt viele andere in diesem Land, die Großartiges schaffen und unsere Demokratie mit Leben füllen.
Das Gespräch führten Charlotte Breitfeld und Robert Trenkmann
...schreibt über Wissenschaft und Politik und am liebsten über beides in einem. Sie interessiert sich für alles, was zusammenhängt – so auch in ihrem Studienfach, den Biowissenschaften. Für den ruprecht schreibt sie seit dem Sommersemester '24.
...leitet Weltweit und studiert nebenbei Geographie in Kombination mit Politikwissenschaft.
Interessenschwerpunkte: ferne Länder, Tagespolitik, Botanik & Sport.
...studiert Physik im Master und fotografiert seit Herbst 2019 für den ruprecht. Von Ausgabe 200 bis Ausgabe 208 leitete er das Online-Ressort, von Ausgabe 205 bis 210 die Bildredaktion.