Antonia Brehme ist die neue Inhaberin des Heidelberger Zuckerladens. Als Marion und Jürgen Brecht im Januar 2023 ankündigten, dass sie eine Nachfolge suchen, war Antonia angefixt. Um das Geschäft zu übernehmen, gab sie sogar ihren Job bei der BASF auf. Uns erzählt sie von ihren Lieblingssüßigkeiten, ihrer Laufbahn und ihrem Alltag im süßesten Geschäft Heidelbergs
Wenn du nur noch eine Süßigkeit bis zum Ende deines Lebens essen könntest, welche wäre das?
Vollmilch- und weiße Schokolade! Das darf man keinem Schokoladenliebhaber erzählen, aber das sind meine Liebsten. Schokolade konnte ich noch nie widerstehen.
Wie bist du dazu gekommen, den Zuckerladen zu übernehmen? Inwiefern war das eine Abweichung von deiner ursprünglichen Lebensplanung?
Als ich damals bei der BASF unterschrieben habe, habe ich gesagt: „Ich gehe hier in Rente oder ich mache mich selbstständig.“ Ich wollte das aber nie erzwingen. Als dann im Januar 2023 die erste Nachricht kam, dass die den Zuckerladen aufgeben und Nachfolger suchen, dachte ich mir: „Die finden jemanden im ersten Monat. Das wird super schnell gehen.“ Aber als es im September hieß, dass sie noch immer niemanden haben, habe ich gesagt: „Heidelberg ohne Zuckerladen, das darf nicht sein.“ Ich habe drei oder vier Emails geschrieben, bis ich eine Antwort erhielt. Die kam, als ich ganz konkret wurde. Ich habe geschrieben: „Ich kann mir das nicht nur vorstellen – ich muss es machen.“ Der 19. Dezember ist ein historischer Tag für mich. Zum einen habe ich damals erfahren, dass ich Zwillinge kriege, vor fünf Jahren, genau heute. Und vor einem Jahr habe ich vom Zuckerladen zurückgehört. Drei Tage später habe ich mich mit Marion unterhalten. Wir waren sofort auf einer Wellenlänge. Anfang Januar habe ich einen Businessplan geschrieben und auch eine Bank gefunden, die das mit mir durchziehen wollte. Im März habe ich gekündigt. Wir hatten noch nichts unterschrieben, keinen Mietvertrag, keinen Kaufvertrag, nichts. Aber für mich war klar, ich habe die mündliche Zusage. Ich verlasse mich darauf. Und es ist ja auch alles so gekommen.
Was bedeutet dieser Laden für Heidelberg und was bedeutet er für dich?
Für Heidelberg ist er echt ein Stück Kultur, weil es ihn einfach schon über 38 Jahre gibt. In vielen Reiseführern stehen wir auf Platz zwei hinter dem Schloss. Das ist Wahnsinn. Für mich geht ein Traum in Erfüllung, dass ich so was Tolles übernehmen konnte, was Menschen mit so viel Positivem assoziieren. Ich sage immer: „Ich mache etwas Soziales, ohne einen sozialen Beruf zu haben.“ Die Leute kommen hierher, schütten ihr Herz aus. Mich belasten diese Geschichten nicht, sondern ich freue mich, dass die Menschen mir vertrauen und so viele Leute sagen: „Mir geht es viel besser, wenn ich hier rausgehe. Es tut mir so gut.“ Das ist einfach schön. Das bedeutet der Laden für mich, dass ich so vielen Menschen etwas zurückgeben kann. Ich bin halt einfach ein sehr sozialer Mensch.
Du hast die soziale Komponente angesprochen. Gab es eine urige Begegnung mit eine:m Kund:in, die du noch in Erinnerung hast?
Das ist nicht eine Begegnung, sondern zahlreiche jeden Tag. Kunden, die teilweise seit 38 Jahren kommen. Ich hatte jetzt sogar Kunden, die kennen Jürgen aus dem allerersten Laden, den er in Norddeutschland aufgemacht hatte. So viele liebe Menschen. Ich habe bestimmt zehn, zwölf große Blumensträuße zur Eröffnung von Leuten bekommen, die ich noch nie gesehen habe. Ich habe viele Stammkunden übernommen, aber auch viele neue gewonnen. Wir kennen uns inzwischen. Und klar, es gibt immer einzelne Kunden, die bleiben sofort im Gedächtnis. Ja, aber einen kann ich jetzt gar nicht hervorheben.
Dass sowohl Stammkund:innen aus dem alten Laden als auch neue Kund:innen zu dir kommen, ist ein Hinweis, dass sich Dinge verändert haben. Wie gestaltest du den Balanceakt zwischen Tradition und Veränderung?
Wir haben wirklich alles übernommen. Nicht nur das Mobiliar, sondern auch, wie wir die Leute bedienen. Wir sind vielleicht nicht so rigoros wie der Jürgen. Ich würde niemals einen Kunden rauswerfen. Ich versuche immer sehr diplomatisch alles zu lösen. Wenn ein grantiger Kunde reinkommt, dann begegne ich ihm extra freundlich, weil ich denke, vielleicht hat er einen schlechten Tag gehabt. Die Veränderung war einfach durch den Umzug bedingt. Wir haben ein paar Sachen modernisiert. Wir haben die Vitrinen alle beleuchtet. Viele der tollen Sammlerstücke haben wir wirklich schön in Szene gesetzt. Viele schauen sich jede Dose an und jedes Bild. Es ist ein kleines Museum. Gleichzeitig kommen immer neue Produkte raus. Ich bin jemand, sobald neue Produkte auf dem Markt sind, muss ich die sofort haben. Das Sortiment ist ja nicht 38 Jahre das Gleiche geblieben und so wird es hier auch sein.
Warum ist der Laden eigentlich umgezogen?
Ich habe keinen Mietvertrag bekommen. Es gab auch keine Begründung. Ich habe mich richtig geärgert. Im Nachhinein war es, glaube ich, besser. Marion und Jürgen hatten nicht mal ein Viertel der Lagerfläche. Wie sie das gemacht haben, keine Ahnung. Ihr seht ja unseren großen Tisch, den brauchen wir auch, wenn wir Aufträge herrichten. Der ist dann voll.
Kommen die Vorbesitzer:innen Marion und Jürgen manchmal vorbei?
Ja, Marion kam am Anfang täglich, weil ich eine Million Fragen hatte. Sie hat alles mit uns eingerichtet und eingekauft. Ich musste ja alles von Null auf lernen. Es gibt nicht einen, sondern bestimmt locker 30 Lieferanten. Ganz oft habe ich ein Produkt in der Hand und schicke der Marion ein Foto: „Wo war das noch mal her?“ Jürgen ist ab und zu zum Würfeln da. Jetzt war er ein paar Wochen nicht hier, weil es ihm nicht so gut ging. Aber er kommt wieder. Wir sind viel in Kontakt und die beiden sind froh, dass es gut läuft. Das ist schon schön.
Du arbeitest nicht allein. Wer ist noch dabei?
Andrea, eine Festangestellte in Vollzeit. Sie steht vorne an der Kasse. Auch meine Schwester Theresa, die gerade in Elternezeit ist, wird im Laufe des Jahres wieder einsteigen und ab und an würfeln. Ich selbst stehe immer an der Wand und bediene. Im Hintergrund habe ich eine Armee an Helferlein. Also drei oder vier Aushilfen plus Familie. Es macht auch Spaß, weil ich immer Freunde und Familie hier habe. Sonntags komme ich mit meinen Kindern hierher. Also jeder ist integriert und es ist echt gesellig, weil wir quatschen, während wir unsere Aufträge fertig machen.
„Ich mache etwas Soziales, ohne einen sozialen Beruf zu haben“
Was ist deine Lieblingstätigkeit?
Es ist nicht eine Lieblingstätigkeit, sondern eben diese Vielfalt. Ich freue mich immer, die Menschen zu bedienen, aber ich muss ehrlich sagen, die sechs Stunden Kopfrechnen am Tag reichen dann auch. Am PC arbeite ich jetzt locker zwei Stunden am Tag. Dann mache ich die ganzen Gestecke, packe ein, mache Bändchen. Wenn ich merke, ich komme am PC nicht weiter, mein Kopf ist gerade durch, dann mache ich die Bändchen. Das ist das, was mir Spaß macht: der Umgang mit den Menschen im Laden, aber auch hier hinter den Kulissen.
Gibt es Süßigkeiten, die auf keinen Fall fehlen dürfen und welche, um die du einen Bogen machst?
Nö, weder noch. Klar, viele Süßigkeiten dürfen nicht fehlen. Ich will von allem was haben und ich muss dann differenzieren. Brauche ich zehn verschiedene Sorten Nougat oder reichen mir fünf? Da suche ich mir die fünf Besten raus. Diese Vielfalt an Produkten, das macht den Zuckerladen aus. Dass man Delikatessen findet, wie französische Butterkekse, handgebacken. Und dann hast du auch die Haribo-Produkte. Wenn jemand mit 50 Cent oder einem Euro kommt, dann geht er auch mit was raus. Und wenn jemand sagt: „Ich brauche was richtig Feines,“ dann holt er sich halt den Honig für sieben Euro. Ich habe die Preise sehr knapp kalkuliert. Darauf bin ich ein bisschen stolz. Ich lerne natürlich auch noch dazu. Ich muss bestimmt das ein oder andere nochmal nachkalkulieren. Aber insgesamt kriege ich oft das Feedback: „Hey, das ist echt günstig“. Das war mir wichtig, dass für jeden Geldbeutel was dabei ist.
Inwiefern braucht man Süßigkeiten heute noch in der Form des Zuckerladens, wenn es auch den Großhandel gibt?
Das ist das Besondere am Zuckerladen: Die Zeit steht still. Man wird so entschleunigt. Und ja, wer braucht schon Süßigkeiten? Das ist ein Lebensgefühl, ein kleines Luxusgut, das man sich gönnt. Ich glaube, die letzten Jahre waren hart genug für viele Menschen. Manche gönnen sich eine Massage oder ein gutes Essen im Restaurant und manche eben etwas Süßes. Ganz oft fragen die Leute nach Produkten, die es in jedem Supermarkt gibt, die haben riesige Süßwarenabteilungen. Klar, du kannst bei uns Schlümpfe und Frösche und so kaufen. Es sind Standardprodukte, aber manchmal willst du vielleicht nur einen Frosch haben und nicht eine ganze Packung. Dann kommst du zu uns, weil du die gemischte Tüte haben willst, die es sonst nicht gibt. Nicht die Haribo Colorado-Mischung, sondern deine persönliche Mischung. Alle anderen Waren, die du bei uns findest, findest du fast nirgendwo anders. Das ist es, was uns ausmacht, dass du ganz neue Süßigkeiten ausprobierst. Es gibt dann so Typen wie mich, die sagen: „Alles, einmal alles.“ So habe ich immer meine Tüte machen lassen.
Zur Person:
Antonia Brehme ist 36 Jahre alt, hat drei Kinder, einen Ehemann und zwei Schildkröten. Mit vier Jahren ist sie von Dresden nach Heidelberg gezogen und hat hier ihre Wurzeln geschlagen. Sie hat in Mannheim Wirtschaftsingenieurwesen studiert und acht Jahre lang als Beraterin für die BASF gearbeitet. Den Zuckerladen, den sie schon als Kind besucht hat, führt sie seit August 2024.
Das Gespräch führten Odette Lehman und Sara Haase
Buntes in der Tüte – schon für 50 Cent.
...studiert Germanistik im Kulturvergleich und Soziologie im Bachelor und leitet seit dem Wintersemester 2024/25 das Ressort "Studentisches Leben". Sie ist seit Ende 2023 beim ruprecht aktiv und interessiert sich besonders für Dinge, die eine gründliche Dosis Reflektion und neue Perspektiven gebrauchen können, deshalb schreibt sie gerne über aktuelle gesellschaftliche, kulturelle und politische Themen.
…studiert Germanistik im Kulturvergleich und Anglistik im Master. Sie schreibt seit dem Sommersemester 2024 für den ruprecht. Wenn sie nicht gerade schreibt oder liest, singt sie zu Taylor Swift mit, während sie Kekse backt.