Wolfgang Merkel hielt die dritte Klaus-von-Beyme-Gedenkvorlesung des Instituts für Politische Wissenschaft. Was er gesagt hat und was unsere Redakteurin daraus mitgenommen hat
Jede Fachrichtung hat ihre eigenen Helden. In der Physik zum Beispiel Richard Feynmann. Noch nie gehört? Vielleicht Klaus von Beyme? Auch nicht?
Für das Institut für Politische Wissenschaft ist Beyme jedenfalls so wichtig, dass seit seinem Tod 2021 eine jährliche Gedenkvorlesung stattfindet. Denn seine Forschungsthemen sind immer noch brisant „Klaus von Beyme war der wohl bekannteste deutsche Politikwissenschaftler seiner Zeit, sowohl national als auch international“, sagt Michael Haus Professor für Politische Theorie am Institut für Politische Wissenschaft (IPW). Beyme sei nicht einfach nur Professor am IPW gewesen, er habe es maßgeblich mit aufgebaut und geprägt. Hinzu komme, dass Beymes Forschungsspektrum ungewöhnlich breit war. „Sowohl bei der empirisch- vergleichenden Analyse als auch bei der Politischen Theorie und Ideengeschichte lag er an der Spitze“ betont Haus. Ähnliches sei sonst niemanden gelungen.
Das diesjährige Thema: „Soll man die AfD verbieten? Die Fallstricke der wehrhaften Demokratie“. Der Vortragende der dritten Gedenkvorlesung Wolfgang Merkel, war selber Schüler von Beyme und brachte die Idee einer Gedenkvorlesung mit ins Spiel. Inhaltlich sollen die Vorträge im Einklang mit dem thematischen Fokus Klaus von Beymes bleiben.
Am elften Dezember war das die wehrhafte Demokratie. Oder wie Merkel es in seinem Vortrag in Anlehnung an den Staats- und Verfassungsrechtler Karl Löwenstein umformulierte: „Die Fallstricke der militanten Demokratie – Der problematische Fall Deutschland.“ Das Gewicht des Themas ist angesichts des Erstarkens der AfD offenkundig. Wie weit kann die Demokratie gehen, um ihre Feinde zu bekämpfen, ohne ihre eigenen grundlegenden Prinzipien zu verraten?
Von Marei Karlitschek
Kommentar
Merkel hat Recht, wenn er sagt, dass ein Verbotsverfahren – sollte es überhaupt zustande, statt unter die Räder kommen– lediglich die äußeren Parteistrukturen schwächen, für rechtsextreme Ideologie aber wie ein Brandbeschleuniger wirken könnte. Sein vorgeschlagener Mittelweg zwischen der wehrlosen und der, ihre eigenen Prinzipien aufgebenden, wehrhaften demokratischen Auseinandersetzung mit der AfD wirkt jedoch uneindeutig und im Grunde widersprüchlich. Er spricht sich auf Seiten des Verfassungsapparates und des Grundgesetzes für eine Stärkung der Wehrhaftigkeit aus. Auch plädiert er für einschränkende Beschneidungen wie einen Stopp der Parteienfinanzierung oder den Ausschluss von Vorsitzen in Ausschüssen. Und er fordert von allen Parteien, sich selbst kritisch hinsichtlich ihres Wähler:innenverlustes zu reflektieren. Er betrachtet hier also die Bevölkerung als wichtigen Akteur, der die politischen Inhalte der Parteien bestimmt.
Die zweite Säule seines Mittelwegs fußt auf eben dieser Bevölkerung, der er das Potenzial zuspricht, „ziviler Verfassungsschutz“ zu sein und aus sich selbst heraus im bildungsbasierten Diskurs die verfassungsbedrohenden Probleme lösen zu können. Doch das alles innerhalb bestehender Grenzen: Er schließt mit einem Lob auf die konsolidierte Demokratie, in der sich die aufgebauten Institutionen bereits bewährt und als stabil erwiesen hätten und so das Beschreiten schon bekannter Pfade ausreichen sollte, die Demokratie gegen inhaltliche Angriffe zu schützen. Auf ein Parteiverbot könne verzichtet werden.
Nur attestiert er diesem Apparat gleichzeitig, er sei „träge geworden“, damit unveränderlich und eine Erschwernis im demokratischen Prozess, unter dem Massenproteste gegen rechts zwar möglich, aber nicht ausreichend seien. Soll hier die Verantwortung also nur von Hand zu Hand weitergereicht werden?
Unverständlich ist auch Merkels Behauptung, der Zulauf zu rechten Parteien läge weniger an sozialer Ungleichheit als daran, dass Menschen in Deutschland ein politisches Repräsentationsproblem hätten. Warum ist die Linke dann nicht regierungsbeteiligt? Die CDU habe beispielsweise ihren etablierten Bereich im Parteienspektrum zugunsten größerer Betonung von „Ideen der Mitte“ aufgegeben. Diese Aussagen muss man hinterfragen. Bezeichnet sich nicht die CDU als „die Volkspartei der bürgerlichen Mitte“? Parteienanalytisch steht die CDU rechts der Mitte und hat sich in den letzten Jahren keinen Fußbreit nach links bewegt. Merkels Argument, dass das Thema Gendern für einen Drift der CDU zur Mitte oder gar nach links steht, geht vollkommen an der Realität vorbei. Die Aufnahme des Themas in die parteipolitische Agenda ist im Gegenteil Beweis für ihre Anbiederung an die AfD: Keiner spricht so viel übers Gendern wie Rechte.
Heute gibt es für die Wähler:innen der AfD kein Repräsentationsproblem, Protestwähler:innen machen einen verschwindend geringen Anteil aus. Mit einem Verbot würde dieses erst für einen inzwischen beachtlichen Teil der Bevölkerung entstehen.
Wenn Parteien sich im Zuge der Diskussion über ein mögliches AfD-Verbot mit ihrem selbstgesetzten Anspruch des Minderheitenschutzes konfrontiert sehen und sich aus Angst davor, Verbotsunterstützungen könnten als Versuch der Konkurrenzausschaltung gesehen werden, lieber gleich die Positionen dieser vermeintlichen Konkurrenz zu eigen machen – lohnt sich da nicht eher mal ein Blick auf die Parteiinteressen selbst? Möglicherweise geht es ja in großen Teilen um Machtkämpfe fernab der politisch zu Repräsentierenden?
Weniger stellt sich die Frage, welche Form der Wehrhaftigkeit der Demokratie demokratisch angemessen wäre als die, welches Demokratieverständnis hier eigentlich zugrunde liegt.
Von Klara Ens
...studiert Politikwissenschaft und Geschichte. Sie ist seit April 2024 beim ruprecht und schreibt für alle Ressorts, die sie in die Finger kriegt.