In Frankreich gibts Croissants, in England Earl Grey und in der Republik Moldau? Gefüllte Teigschnecken. Mhmmm lecker, so schmeckt Osteuropa!
Als Nicht-Deutsche in Heidelberg sehne ich mich gelegentlich nach vertrauter Atmosphäre, nach der guten alten Zeit als unbekümmertes Kind im Schoß der Eltern. Am schnellsten kommt man ins heimische Gefühl über die Olfaktorik. Anatomischen Gegebenheiten geschuldet, reizt sie die Erinnerungen am effizientesten. Aber weil die Eltern schlecht ein Glas moldawischer Luft nach Deutschland schicken können, schicken sie eben Plăcinte. Ein Teiggericht gefüllt mit Frischkäse und Dillspitzen, Kartoffeln oder süßen Äpfeln – ebenso aussagekräftig wie das französische Croissant, der englische Earl Grey mit Milch oder die deutsche Bratwurst.
Die Republik Moldau (nicht zu verwechseln mit dem tschechischen Fluss) ist ein kleines osteuropäisches, post-sowjetisches Land zwischen der Ukraine und Rumänien. Zerrissen zwischen der aggressiven russischen Propaganda und dem europäischen Ideal, mit ewig kontroverser Identität.
Definierend ist jedoch unsere traditionelle Gastfreundschaft. Fremdstaatliche Persönlichkeiten werden am Flughafen mit Brot und Salz auf einem gewobenen Tuch empfangen. Danach geht es weiter mit Plăcinte und Wein.
Plăcinte sind in Moldawien omnipräsent. Sie haben die Funktion einer deutschen Brezel – schnell und praktisch. Auch bei Festlichkeiten fehlen sie nicht. Man isst sie, wenn man Hunger hat und wenn man keinen Hunger hat. Sie sind Vorspeise, Hauptmahlzeit und Nachtisch zugleich.
Trotz der engen Beziehung der Moldawier:innen zu den Plăcinte machen sie in der Antike die Runde durch alle großen Reiche. Von den Griechen zu den Ägyptern bis in das Römische Reich, und von dort aus in die ganze Welt. Die Römer nannten sie Placenta. Diese Tarte war die Urform unserer heutigen Plăcinte mit Frischkäse. Die süßen Alternativen kamen im 16. Jahrhundert bei den Engländern unter Elisabeth I auf. Die Kolonialzeit hat auch den Amerikaner:innen die Plăcinta gegeben. Und heute freuen sie sich über den Apple Pie mit Eis zum Nachtisch.
Die besten Plăcinte werden natürlich von Oma gebacken und dann bei schlechtem Wetter eingemummelt in eine Wolldecke, die beständig zwischen kuschelig und kratzig hin und her wechselt, verköstigt. Oder in der prallen Sonne auf dem Feld. Für das Rezept meiner Oma braucht man wenig Besonderes für den Teig: 500 Gramm Weizenmehl, 200 Milliliter Wasser, ein Ei, zwei bis drei Löffel Öl, zwei Löffel Essig und eine Prise Salz.
Erstmal wird das Mehl durch ein feines Sieb gesiebt, die anderen Zutaten dazu gegeben und alles mit den Händen zu einer festen, homogenen Masse geknetet. Das Wasser wird dabei nach und nach hinzugefügt. Der fertige Teig wird zum Ruhen beiseite gelegt.
In der Zwischenzeit widmet man sich der Füllung. Ich entscheide mich immer wieder für Frischkäse. Hierbei wählt man in Deutschland den Frischkäse mit der festen Konsistenz, da nur dieser dem Original am nächsten kommt. Traditionell stellen Moldawier:innen ihren eigenen Frischkäse aus saurer Milch selbst her. Für die Füllung nimmt man etwa ein Kilogramm davon und mischt es mit zwei Eiern und etwas Salz. Die Dillspitzen verleihen dem Ganzen eine besondere Note.
Nachdem die kurze Ruhezeit vergangen ist, teilt man den Teig in etwa acht gleich große runde Bällchen und lässt sie unter einem sauberen Tuch erneut für eine Viertelstunde ruhen. Meine Oma sagt, der Teig zieht die Energie aus dem Raum an, sodass man nur in guter Laune ordentlich backen kann. Kein Streit ist da erlaubt. Danach nimmt man sich ein Teigbällchen und rollt es auf der Tischplatte aus – so weit und so dünn, wie der Teig und das Feingefühl es nur erlauben. Dabei wird die Platte reichlich mit Öl bestrichen.
Der Teig wird idealerweise zu einer ovalen, dünnen Form ausgerollt, die man nun zur Hälfte mit der gewünschten Füllung bedeckt. Anschließend wird das Ganze zusammengerollt, sodass aus der flachen Form eine Teigschlange entsteht. Diese Schlange wird nun zu einer Schnecke eingerollt und auf ein Backblech gelegt. Dasselbe Schicksal ereilt jedes der Teigbällchen: vom Flachen zur Schlange zur Schnecke. Eine Metamorphose – fast kafkaesk!
Am Ende wird ein Eigelb schaumig geschlagen und die Schnecken damit auf einer Seite bepinselt. Früher hat man dafür lange Gänsefedern genommen. Es sei jedem selbst überlassen, wie weit man sich in das Original reinsteigern möchte. Im vorgeheizten Ofen brauchen diese Schnecken bei 180 Grad etwa eine Dreiviertelstunde, um zu Plăcinte zu werden. Wenn sie goldgelb strahlen und schmackhaft riechen, weiß man, dass man wenig falsch gemacht hat. Nun genießt man sie auf dem Sofa mit einem Buch in der Hand und am nächsten Tag packt man sich zwei ein – zum Überstehen eines langen Unitages.
Zutaten
Für den Teig:
– 500 g Weizenmehl
– 200 ml Wasser
– ein frisches Ei
– Speiseöl, Essig und etwas Salz
– gute Energie und keinen Streit
Für die Füllung:
– 1 kg festen Frischkäse
– ein Eigelb
– Dillspitzen
Von Andreea Surugiu
...beobachtet gerne, schreibt über Menschen und studiert Medizin. Die Welt wird durch das Schreiben kohärenter, ertragbarer, schöner.
...studiert Kunstgeschichte und Politikwissenschaft, seit 2021 schreibt sie über Kurioses aus Politik, Kultur und dem studentischen Leben