5 von 5 rupis: Kann denn Liebe Synthie sein?
Es scheint, als sei Joe Mount das Chamäleon der melancholischen Popmusik. Mit einer Einstellung, die keine Wiederholung erlaubt, hat sich der Lockenkopf aus Devon mit Metronomy vom Glitchtronica-Soloprojekt über das quietschigste Dance-Pop-Trio der Nuller Jahre bis hin zu der Band entwickelt, die sonnenbebrillte Coolness in Südwest-England möglich gemacht hat. Anno 2014 kehrt selbige Band in sich, dem Digitalen den Rücken und mit „Love Letters“ zurück auf die internationale Bühne. Metronomy behalten ihren Spleen bei und lassen sich auf dem vierten Album stark von den 1960er Jahren beeinflussen.
Die Vorgabe sei gewesen, ein „Computer-freies“, authentisches Album zu produzieren, das, so Mount, noch konsequenter als Daft Punks „Random Access Memories“ komplett organisch, komplett auf Acht-Spur-Tonbändern aufgenommen seinen Weg in die Welt finden sollte. Nicht, dass es dadurch weniger spacy und elektronisch klingt. Ab der Hälfte des Albums wirken die Lieder zunehmend wie Kollaborationen mit dem New Age Guru Jean-Michel Jarre. „Boy Racers“, der einzige instrumentale Track, könnte sich super in Mounts Ausgabe der Late Night Tales einfügen, direkt neben dem Jarre-Cover „Hypnose„. Gleichzeitig – und zu Lasten des Gesamtbildes – passt „Boy Racers“ mit seinen Cartoon-Sounds besser auf das spielerische „Pip Paine (Pay the £500 You Owe)“ als unter die Balladen dieses Albums.
Von dieser Fehlplatzierung abgesehen, können alle Lieder wie Liebesbriefe gelesen werden. Typisch für Metronomy gewinnt man aber bald den Eindruck, es handele sich um komplizierte, kaputte Liebe. Mount, der kürzlich Vater geworden ist, trägt Metronomy wie die Maske eines von Kummer geplagten Jugendlichen, der „Not Made for Love“ ist. Tatsächlich lassen sich Schemata wiederfinden, auf die er auf jedem Album zurückgreift: Da gibt es das mutmaßlich unbekümmerte Gitarrenintro zu „Month of Sundays“, das die Probleme von „Trouble“ wieder aufgreift, sowie ein rhythmisch minimalistisches und von gedämpften Synths getragenes „Monstrous“, welches an die unerfüllte Sehnsucht von „Loving Arm“ erinnert. Die schiefen, dramatischen Synths, die „Nights Out“ eröffnen, wurden auf „Love Letters“ durch nicht weniger dramatische Hörner ersetzt, während der Refrain von „Reservoir“ als Echo von „What Do I Do Now?“ und „Corinne“ fungiert. Vielleicht sind des Chamäleons Alben deshalb so gut. Das Erfolgsrezept – elektronische Popmusik mit einem ordentlichen Schuss Melancholie – kann je nach Laune und Anlass mit einem eigenen Konzept garniert werden. So entsteht ein Mitternachtssnack auf dem Weg zur Afterparty, ein Picknick im Hafen von Torquay oder ein romantisches Dinner für die Geliebte, die nicht auftaucht.
Die wirklich überragenden Songs finden sich in der ersten Hälfte der Platte, besonders „!Month of Sundays“ und der Titeltrack. Dieses Duo gibt dem „Radio Ladio“-gewohnten Hörer (also jedem von uns, seien wir ehrlich) zum ersten Mal das Gefühl, dass die besten, die wirklich erfüllenden Songs aus der Feder von Joseph Mount die ernsten sind. Nicht das interstellare Synthgedudel und -geblubber von „Call Me“ und „Reservoir“, noch das „Only Love Can Break Your Heart“-via-Ray-Lynch-Outro „Never Wanted“. Nein, paradoxerweise ist es der Akustikgitarre im Opener « The Upsetter » zu verdanken, dass „Love Letters“ dem durchweg überzeugenden, aber discoiden „Nights Out“ Konkurrenz macht. Oder dem schimmernden, pseudo-linkischen Gitarrenspiel à la Mac DeMarco in „Month of Sundays“, auf das plötzlich ein siechendes Solo folgt. Oder – mein Favorit – dem epischen Cocktail aus Honky Tonk Piano, dramatischem Trompetensolo, „Love letters“ jubelndem Chor und einem Gesang, der einem den Eindruck vermittelt, Peter Gabriel habe die Band übernommen.
Um das klarzustellen: Melancholisches Synthgedudel ist nach wie vor das A und O bei Metronomy. Ihr bestes Album bleibt vorerst „Nights Out“. Joseph Mount ist jedoch einer derjenigen Musiker, die bereit sind, ihr goldenes Kalb zu zerschlagen, um wahre, ehrliche Kunst zu erschaffen. „Love Letters“ verdient eine herausragende Wertung, da es musikalisch, textlich, konzeptuell bis hin zur farblichen Gestaltung der Hülle ein Gesamtbild erzeugt, das so rührend ist wie, nun ja, Liebesbriefe. Und wenn Mount in drei Jahren ankommt mit einem Metronomy-Album voller nostalgischer Songs über Vaterschaft und wie doch früher, als Teenager mit gebrochenem Herzen, alles besser war, wird er es gewiss genauso authentisch vermitteln.
von Philipp Fischer