Endlich ist es Forschern gelungen, humane embryonale Stammzellen zu klonen. Doch mit geklonten Menschen ist auch in absehbarer Zukunft nicht zu rechnen.
Es ist 2004. Die Forschergemeinde befindet sich in hellem Aufruhr. Der Südkoreaner Hwang Woo-suk hat gerade seine Ergebnisse veröffentlicht. Ihm sei es gelungen, durch Klonen embryonale Stammzellen zu erzeugen. Ein großer Durchbruch zur Therapie bisher als unheilbar geltender Krankheiten schien gegeben – doch die Ernüchterung folgte schnell. Die Publikation wurde als Fälschung enttarnt. Jetzt, neun Jahre später, ist es wieder soweit. Der amerikanische Forscher Shoukhrat Mitalipov und sein Team geben an, aus somatischen Zellen embryonale Stammzellen geklont zu haben. Wieder ist die Aufregung groß – vor allem, da den Forschern unnötige Fehler in ihrer Publikation unterliefen. Bildduplikate lassen andere Gutachter an der Seriosität des Papers zweifeln. Wiederholt sich also die Geschichte?
Die Ergebnisse werden weithin akzeptiert und das Forscherteam nahm zu den Anschuldigungen bereits im renommierten Nature Magazine Stellung. Nichtsdestotrotz werden so allgemeine Fragen über Forschung aufgeworfen.
1997: Ein großer Medienrummel entsteht um das Klonschaf „Dolly“. Es war der erste große Durchbruch bei dem Versuch, mehrere genetisch identische Individuen zu erzeugen. Seither wurde dies bei vielen weiteren Tieren erfolgreich durchgeführt, 2007 sogar beim Rhesusaffen – von Mitalipov selbst. Ein lebendiger Affe wurde dabei allerdings nicht erzeugt. Lediglich sich selbst teilende embryonale Stammzellen konnten gewonnen werden. Embryonale Stammzellen sind im Gegensatz zu adulten Stammzellen pluripotent. Dies bedeutet, dass sie in der Lage sind, sich in jegliche mögliche Zellart eines Organismus zu entwickeln, seien es Haut-, Leber- oder sogar Herzzellen. Hiervon verspricht man sich vor allem therapeutische Ansätze, bei denen ganze Organe erschaffen oder geheilt werden können. Diese würden vom Immunsystem des Patienten nicht abgestoßen, da sie aus dessen eigenen Zellen gewonnen wurden. Das bedeutete einen großen Vorteil in der klinischen Anwendung.
Bei der Gewinnung der Stammzellen wird ein Verfahren namens „Somatischer Zellkerntransfer“ angewandt. Somatische Zellen sind alle Zellen des Körpers, aus denen keine Geschlechtszellen – beim Menschen Spermium und Eizelle – entstehen können. Aus einer solchen Körperzelle wird der Zellkern entnommen und in eine unbefruchtete Spendereizelle injiziert, der zuvor der eigene Zellkern entnommen wurde. Setzt man die künstlich erstellte Eizelle nun gewissen Wachstumsfaktoren aus, so entwickelt sie sich wie ein Embryo, geht in ein Mehrzellstadium über und kann in seltenen Fällen – wie bei Dolly – sogar zu einem kompletten Organismus heranreifen.
„Die Ergebnisse sind echt, die Zelllinien sind echt, alles ist echt“
Das Ziel der Forschung ist es aber, den künstlichen Embryo bereits zuvor aus einem bestimmten Mehrzellstadium in einzelne Zellen zu zerlegen. Dieser Prozess ist der ethisch fragwürdigste. Er bedeutet gleichzeitig den Tod des zuvor künstlich erzeugten Embryos.
Dem Forscherteam um Mitalipov gelang dies nun erstmalig mit humanen Zellen. Dazu waren kleine Veränderungen im Experimentaufbau nötig. Unter anderem dem Wachstumsmedium zugesetztes Koffein trug zum Erfolg bei. Koffein erhält den meiotischen Zellzyklusarrest aufrecht, es stabilisiert also eine bestimmte Phase der Zellteilung. Schlussendlich fördert es dadurch die Entwicklung des künstlich erschaffenen Embryos. Aus einem bestimmten Mehrzellstadium, der Blastozyste, können dann die embryonalen Stammzellen gewonnen werden.
Der Erfolg dieser Methode war auch bei humanen Zellen abzusehen. Der große Aufruhr um die Ergebnisse des Forscherteams entstand daher vorrangig aus den aufgetretenen Fehlern.
Dennoch scheint sich die Vorgeschichte von 2004 nicht zu wiederholen. Mitalipov selbst spricht in einem Brief an Nature beschwichtigend: „Die Ergebnisse sind echt, die Zelllinien sind echt, alles ist echt.“ Der Eklat kam vor allem durch das ungewöhnlich schnelle Gutachten der Ergebnisse auf. Das Magazin Cell, in der Mitalipov die Experimente publizierte, prüfte die Ergebnisse innerhalb von nur drei Tagen. Normalerweise dauert dieser „peer review“ genannte Prozess deutlich länger. Als Mitalipov 2007 seine am Rhesusaffen erfolgreichen Ergebnisse einsandte, musste er ganze sechs Monate auf die Veröffentlichung warten. „Wir sind ein vertrauenswürdiges Labor. Wir haben bereits ehrliche Ergebnisse hervorgebracht“, argumentiert der Forscher im auch Hinblick auf die Vergangenheit des Forschungszweiges.
Forschung – ein Hamster im Laufrad
Dennoch zeigt dieser Vorgang, dass in der Forschung ein außerordentlich harter Wettbewerb stattfindet. Cell ist eine Zeitschrift mit sogenanntem high impact. Der impact factor ergibt sich aus den Zitationen eines Magazins geteilt durch die darin veröffentlichten Artikel. Science und Nature sind die Forschungsmagazine mit dem wohl größten Einfluss. Publiziert ein Forscher in diesen Journals, erhält er mehr impact points als in anderen Magazinen. Anhand dieser Punkte wird unter anderem die Qualität einer Forschungsgruppe beurteilt. Im Endeffekt geht es im Wissenschaftsbetrieb also darum, von anderen Forschungsgruppen möglichst oft zitiert zu werden. Diese Chance ist in bekannten Magazinen deutlich höher.
Neuere Untersuchungen zeigen aber, dass die Zitationsrate sogar in den Magazinen abnimmt, deren Einfluss als sehr groß eingeschätzt wird. Eventuell muss eine neue Einordnung stattfinden. Wichtig ist daher auch, wie zügig die Wissenschaftler arbeiten und wie viel sie publizieren. Insgesamt lastet daher ein erheblicher Druck auf allen Forschungsgruppen, ihr Überleben zu sichern. Das Einwerben von Drittmitteln, die benötigt werden, um ihre Forschung aufrechtzuerhalten, ist eng an die Qualität ihrer Publikationen geknüpft. Sogar die Honorierung der Professoren erfolgt an manchen Universitäten anhand ihrer Publikationsliste. Aufmerksamkeit spielt somit eine wichtige Rolle. Die Situation erinnert an einen Hamster im Laufrad: Das Rad soll ständig mit hoher Geschwindigkeit angetrieben werden. Fragwürdig bleibt dabei, ob die Forschung einer Arbeitsgruppe auf einem konstant hohen Niveau erhalten bleiben kann.
Mitalipovs Methode ist nicht die einzige
Trotz allem scheinen die Ergebnisse diesmal tatsächlich echt zu sein. Die aufgekommenen Zweifel konnten durch die Erklärungen Mitalipovs größtenteils ausgeräumt werden. Eine gewisse Skepsis jedoch bleibt, ebenso wie eine letzte Frage: Sind die Ergebnisse überhaupt der erhoffte große Durchbruch?
Nein. Inzwischen gibt es bereits Methoden der Stammzellgewinnung, die ohne Spendereizelle und das ethisch fragwürdige Zerlegen eines Embryos auskommen. Eine davon stellt die Nutzung sogenannter induzierter pluripotenter Stammzellen (iPS) dar. Vor allem Hautzellen werden bei dieser Methode in einen quasi embryonalen Zustand zurückversetzt. Dazu werden die Zellen durch die Behandlung mit Reprogrammierungsfaktoren zurück in ein pluripotentes Stadium versetzt. Offen ist derzeit noch, ob die so erzeugten Stammzellen vollständig reprogrammiert sind.
Mitalipov vergleicht derzeit iPS und die von ihm erzeugten embryonalen Stammzellen. Die Ergebnisse werden mit Spannung erwartet. Eine weitere Methode, die Transdifferenzierung, umgeht die Reprogrammierung in das pluripotente Stadium komplett. Zellen entwickeln sich dabei durch eine Behandlung mit speziellen Wachstumsfaktoren zu gänzlich anderen Zellen. So können im Labor aus Hautzellen bereits Hirnzellen gewonnen werden. Dies spart vor allem kostbare Zeit und bietet so noch größere Vorteile. Der Erfolg der Transdifferenzierung konnte bereits mehrfach experimentell nachgewiesen werden. Sollte diese Methode in Zukunft noch bessere Ergebnisse hervorbringen als bisher, dürfte sie künftig wohl das Mittel der Wahl werden.
von David Grommisch