Die Universität Gießen hat einer Lehramtsstudentin verboten, den Hörsaal in einer Ganzkörperverschleierung, der Burka, zu betreten. Ist der wissenschaftliche Diskurs tatsächlich durch die religiöse Verhüllung gefährdet? Ja, findet Marc Mudrak, Doktorand am Historischen Seminar, freier Journalist und Mitglied der SPD.
Die Erörterung eines nach Behutsamkeit verlangenden Themas beginnt man am besten mit einem zünftigen Vergleich: Religiöse Verschleierung (gemeinhin ein Kopftuch, bei dem das Gesicht noch zu sehen ist) ähnelt dem Tragen eines Bikinis. Nicht nur, dass beide Moden Männerphantasien beflügeln, wenngleich auch unterschiedliche. Sie loten auch die Toleranz unserer Gesellschaft aus und liegen im Grenzbereich dessen, was die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger im Alltag für angemessen hält. Meiner Meinung nach ist das Kopftuchtragen an staatlichen Hochschulen problematisch. Dabei unterscheide ich zwischen Dozentinnen und Studentinnen. Erstere sollten generell auf jede Form des Schleiers verzichten. Deutschland ist eine säkulare Republik, der Staat hat sich also religiös neutral zu verhalten. Das gilt insbesondere für jene, die den Staat repräsentieren und von ihm bezahlt werden. Das Kopftuch als offensives Symbol religiöser Überzeugung hat daher keinen Platz in den Büros und Übungsräumen der Universität. Auch aus einem weiteren Grund sollte für Lehrende der Schleier tabu sein: Er ist nicht nur ein religiöses, sondern auch ein politisches und gesellschaftliches Statement.
Das Kopftuch ist nicht immer, aber doch in vielen Fällen Ausdruck einer konservativen und politisch-islamischen Wertehaltung. Das ist an sich nicht weiter schlimm, es ist sogar begrüßenswert (und viel zu selten), dass Dozenten politische Meinungen haben und diese zur Diskussion stellen. Doch die permanente Demonstration dieser Haltungen geht zu weit. Auch hier gilt das Neutralitätsgebot des Staates. Um nicht falsch verstanden zu werden: Religionsfreiheit ist ein hohes und grundgesetzlich garantiertes Gut. Frauen, die zuhause, in der Bar, im Theater oder beim Einkaufen ein Kopftuch tragen, sollen und dürfen dies selbstverständlich tun. Doch im Staatsdienst gelten besondere Ansprüche, nicht zuletzt auch in der Schule. Dort ist in Baden-Württemberg das Kopftuch seit 2004 verboten. Und was ist mit Studentinnen? Die frequentieren zwar eine Institution der säkularen Republik, doch sind sie keine Staatsangestellten. Sie nehmen ein öffentliches Angebot wahr, verkörpern es aber nicht. Deshalb haben sie prinzipiell jedes Recht, den Schleier in der Universität zu tragen. Allerdings nicht jede Form des Schleiers. Denn in unserer Gesellschaft hat sich der Konsens herausgebildet, dass die Menschen in der Öffentlichkeit weder völlig nackt noch völlig vermummt, also im Ganzkörperschleier auftauchen sollten. Noch wichtiger ist, dass kein Seminar ohne Diskussion und Interaktion auskommt. Doch wie soll die Kommunikation mit einer Frau funktionieren, die nicht zu sehen ist und künstliche Barrieren zu ihrer Umwelt aufbaut?
Deshalb befürworte ich die Gesetzgebung Frankreichs, wo das Tragen der Burka (Ganzkörperschleier mit Augengittern) und des Nikab (mit Sehschlitzen) verboten ist. Wie der Europäische Gerichtshof für Menschrechte kürzlich festgestellt hat, verstößt diese Regelung auch nicht gegen die Menschenrechte. Auch die „light“-Versionen des islamischen Schleiers sind oft ein Symbol konservativer Religionsauffassung und werden von muslimischen Frauenrechtlerinnen wie der SPD-Politikerin Lale Akgün abgelehnt. Es ist kein Zufall, dass in der laizistischen Türkei ausgerechnet der rechtsreligiöse und antidemokratische Ministerpräsident Erdogan die Aufhebung des Kopftuchverbots für Studentinnen durchgeprügelt hat. Für angehende Lehrerinnen in Baden-Württemberg führt das Kopftuch zudem in eine berufliche Sackgasse. Die gläubigen Frauen sollten also aus vielen guten Gründen genau abwägen – ähnlich wie potentielle Bikini-Trägerinnen – ob ihre Mode im Hochschulbetrieb angemessen ist. Die Frage nach dem Kopftuch ist eng verbunden mit der allgemeinen Debatte um die Trennung von Staat und Kirche. Katholische Nonnen, die an Grundschulen unterrichten, halte ich für ebenso problematisch wie Lehrerinnen im Tschador. Staatlich finanzierte Kindergärten in kirchlicher Trägerschaft, in denen homosexuelle Erzieher entlassen werden, sind ein Unding. Da gibt es auch jenseits des Kopftuchs noch viel zu tun.