Die Universität Gießen hat einer Lehramtsstudentin verboten, den Hörsaal in einer Ganzkörperverschleierung, der Burka, zu betreten. Ist der wissenschaftliche Diskurs tatsächlich durch die religiöse Verhüllung gefährdet? Nein, findet Cansu Güler, Studentin der Geschichte, Germanistik und Erziehungswissenschaften.
Als ich mich mit 17 gegen den Willen der Mehrheit meiner Familie für das Kopftuch entschied, fragte ich mich, welche Reaktionen, Fragen, Kritik und welches Verständnis mir bevorstehen würden. Die eine oder andere Erfahrung diesbezüglich konnte ich bisher sammeln. Erfahren habe ich für mich, dass die Antwort auf diese Frage in grunddemokratischen Leitideen zu finden ist.
Ich bin für die Erlaubnis des Tuches, da ein moderner Staat einem nicht vorschreiben sollte, wie man sich zu kleiden hat. Solch ein Verbot begrenzt die Freiheit und raubt einem die Möglichkeit, sich nach eigenem Willen frei zu entfalten.
Ein Staat, der sich auf die Menschenrechte beruft und sich als demokratisch definiert, kann und darf sich in Bezug auf die Menschenrechte nicht anmaßen, einen Unterschied in der Meinungs- und Religionsfreiheit des Menschen zu machen.
Das Sein des Menschen sollte im Vordergrund stehen – nicht der Schein, nicht sein Haarschnitt, seine Kleidung oder sein Tuch auf dem Kopf. Apropos: „sein Tuch“! Neulich nahm ich am Fußballturnier der Universität teil und fragte vorab in der Mail, ob es in Ordnung sei, mit einem Kopftuch Fußball zu spielen.
„Klar ist das in Ordnung. Hab‘ Sie eingetragen, Herr Güler!“, erreichte mich als Antwort. „Anscheinend geht mein Kollege von einem Mann aus, der zum Sonnenschutz ein Tuch auf seinen Kopf setzen möchte“, dachte ich mir und musste auflachen.
Gleichzeitig stellte ich mir die Frage, wieso es ,,mehr in Ordnung“ ist, dass ein Mann ein Kopftuch trägt als eine Frau. Ich fand keine Antwort. Aber das Fußballturnier hat uns allen sehr viel Spaß bereitet! Auch ,,trotz“ Kopftuch.
Die Gewährleistung einer ,,objektiven“ Weltanschauung gehört meines Erachtens nicht in die Kopftuchdebatte. Das äußere Erscheinungsbild lässt stets auf eine bestimmte Weltanschauung deuten. „Ein Dozent mit längeren, eine Dozentin mit kürzeren Haaren lassen auch Weltanschauungen vermuten – und diese Vermutungen können dann genauso falsch oder richtig sein. Neutral gibt es nicht“, äußert meine Kommilitonin C. Kloß.
Meines Erachtens ist die Angst um die Neutralität bei der Kopftuchfrage deshalb keine begründete.
Es steht außer Frage, dass es bedeutsam ist, nicht gezwungen zu werden, ein Kopftuch zu tragen.
Aber wir leben in einer Gesellschaft, in der mehrheitlich davon ausgegangen wird, dass das Kopftuch mit Unterdrückung gleichzusetzen ist. Eine Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung von 2006 zeigt, dass mehr als 80% der Kopftuchträgerinnen – ich mit inbegriffen – diese Auffassung nicht im Geringsten teilen – schlicht und einfach aufgrund der Tatsache, weil dies ihre eigene, persönliche Entscheidung ist.
„Das Kopftuch passt gar nicht zu dir“, heißt es manchmal, wenn meine Mitmenschen es „gut“ mit mir meinen. Es setzt mich unter Druck, wenn Menschen zu wissen meinen, was zu mir passe und was nicht.
Mein Wunsch ist, dass jeder so sein kann wie er mag, wir als Menschen einer pluralistischen Gesellschaft von dieser Vielfalt schöpfen und jeden er selber sein lassen – auf seine persönliche Art und Weise.
Nicht alle Kopftuchträgerinnen sind gleich. Es gibt nicht DIE Kopftuchträgerin, so wie es auch nicht DIE SPD’lerin oder DEN CDU’ler gibt. Es gilt den Menschen als Menschen zu sehen und wirken zu lassen. „Wir haben vergessen, dem Menschen in die Augen zu schauen und reduzieren uns auf sein Aussehen“, erkannte einst ein Reisender nach einem Dialog mit einer Freundin mit Kopftuch. Das Gespräch miteinander statt übereinander und ein aktives Ohr sind unabdingbar für ein gesundes und friedliches Miteinander in Deutschland – ein Deutschland, in dem das Tragen eines Kopftuches in der persönlichen Freiheit des Individuums steht und nicht von ,,oben“ gemaßregelt wird, ob man das nun darf oder nicht.
Schließlich würde jeder Mensch es auch seltsam finden, wenn an Universitäten verboten würde, grüne T-Shirts zu tragen, oder nicht?