Sie wagen den Ausbruch aus dem Elfenbeiturm der Lehre: Heidelberger Jurastudenten gründeten mit Pro Bono einen Verein zur kostenlosen Rechtsberatung.
„Die zehn Gebote sind deswegen so kurz und logisch, weil sie ohne die Mitwirkung von Juristen zustande gekommen sind“, bemerkte einst der französische General und Politiker Charles de Gaulle. Dieses Bild des komplexen Rechtsgebildes hat sich bis heute hartnäckig gehalten. Umständlich, teuer, abschreckend – so oder so ähnlich wirkt die Juristerei nach außen. Wer wissen will, welche Rechte und Ansprüche er hat oder wie er diese durchsetzen kann, der kam bislang am kostspieligen Anwalt nicht vorbei. Das zu ändern, versucht der studentische Verein Pro Bono Heidelberg.
Was als Idee zweier Studenten beim Bier in der Unteren Straße begann, ist heute in Form eines 40 Mitarbeiter starken Teams real geworden: Jura-Studenten erteilen mit dem im Studium erlernten Wissen und gezielt geschulten Kompetenzen kostenfreie Rechtsberatung für jedermann. „Wir wollen den Leuten die Angst nehmen, vor Gericht zu gehen und in den Kosmos des Rechts einzubrechen. Wir wollen ihnen zeigen: Hey, es ist gar nicht so kompliziert!“, erklärt Jan Prügel, Gründer und Vorstandsmitglied von Pro Bono und Jura-Student im siebten Semester.
Das Angebot richtet sich vor allem an eine finanzschwache Mandantschaft. Seit Dezember 2013 ist Pro Bono ein eingetragener Verein. Anfang April haben die Jura-Studenten ihre ersten Zivilrechtsfälle angenommen; die Asylrechtsgruppe ist seit Mai aktiv. Zehn zivilrechtliche Fälle haben sie bereits übernommen. Einen Fall zu bearbeiten und zu lösen dauert normalerweise zwischen zwei und vier Wochen. Am Ende jedes Falls erstellen die Juristen ein juristisches Gutachten. Darin wird der Fall für den Mandanten in verständlicher Weise aufgearbeitet und seine Handlungsmöglichkeiten sowie Konsequenzen aufgezeigt. Drei Fälle haben die Mitglieder bereits abgeschlossen. Jan erzählt begeistert: „Als wir den ersten Fall gelöst hatten, hat der Mandant eine Dankesmail geschrieben, die ich dann an den Rest weitergeleitet habe. Super Aktion, die ihr da macht, stand da. Das war schon ein krasses Gefühl.“
Im Migrationsrecht wird dagegen eher politisch und sozial beratend vorgegangen. Eine Gruppe von fünf Mitarbeitern nimmt jeden Mittwoch in einer Sprechstunde die Anliegen entgegen. Der Verein will Anlaufstelle für jene sein, die sich sonst an niemanden zu wenden wissen. Gerade bei asylrechtlichen Fragen sei es wichtig sich den Mandanten von Angesicht zu Angesicht zu begegnen, sagt Jan. Die Mandanten seien vor allem Menschen mit Wurzeln außerhalb Deutschlands, die hier oft vor Kommunikationsproblemen stehen. Es soll den Betroffenen ein Gefühl von Vertrauen und Geborgenheit vermittelt werden.
Die Vorbereitung auf Anhörungen zu Aufnahmeverfahren des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge steht im Vordergrund. Diese Anhörung bildet den Hauptteil des Asylverfahrens und ist ausschlaggebend für die Entscheidung, wer in Deutschland Asyl erhält. Um die Bewerber hierfür zu rüsten, arbeiten die Berater mit ihnen die Fragenkataloge des Bundesamts durch und stehen für Fragen und Probleme zur Verfügung. Es komme vor, dass Sprachbarrieren entstehen, da viele Bewerber weder Deutsch noch Englisch sprechen. Dann versuchen die Pro-Bono-Mitarbeiter auf Verwandte, Freunde oder Mitarbeiter des Asylarbeitskreises zurückzugreifen. „Da findet sich immer jemand. Man kann sich zur Not auch mit Händen und Füßen verständigen.“
Das Heidelberger Studentenwerk bietet schon länger ein Programm an, bei dem sich Studierende von Volljuristen in studentischen Rechtsproblemen gratis beraten lassen können. Auch an anderen Unis gibt es vergleichbare Initiativen. Pro Bono versteht sich jedoch nicht nur als Anlaufstelle für Studenten, sondern für jeden, der die Hilfe braucht. Es ist die erste studentische Einrichtung dieser Art, die sowohl Zivil- als auch Asylrecht unter einem Dach vereint.
Um die Beratung wirklich völlig kostenfrei anbieten zu können, müssen die Studenten kreativ werden und sich um vielgestaltige Unterstützung bemühen. Die unterstützenden Volljuristen leisten ihren Beitrag ebenfalls unentgeltlich. Neben E-Mail und Telefon bilden persönliche Gespräche die Kommunikationsbasis, die entweder in vom Asylarbeitskreis zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten oder in beliebigen Cafés geführt werden. Auch das schafft wieder eine angenehme, unkomplizierte Atmosphäre.
„Die Leute, die zu uns kommen, wollen gerade nicht in die Kanzleien. Sie suchen ein Umfeld, in dem sie sich wohl fühlen“, betont Jan. Die Kosten, die dennoch entstehen, so zum Beispiel für Fahrten zu finanzschwachen Mandanten außerhalb Heidelbergs oder für den Online-Auftritt, werden vom Mitgliedsbeitrag in Höhe von zehn Euro pro Jahr gedeckt.
Besonders bemerkenswert ist der Nutzen, den beide Seiten aus der Zusammenarbeit ziehen. Zum einen profitieren die Mandanten, denen die Probleme abgenommen werden, zum anderen stellt es für Jurastudenten eine Möglichkeit dar, bereits im Studium praktische Erfahrung zu sammeln. „Studenten sollten nicht im Elfenbeinturm der Lehre sitzen. Sie sollten richtige Menschen mit echten Problemen sehen.“ Und genau das bietet das sehr abstrakte, theoretische Studium nicht. Eigenverantwortliches Arbeiten am realen Fall, Kontakt mit Mandanten und trotzdem gewisse Sicherheit in der Hinterhand – das versprechen sich die Berater. „Außerdem kann es gut fürs Studium sein“, ergänzt Jan. „Wenn du frustriert bist, weil du eine komplexe Dogmatik nicht verstehst, kannst du etwas anderes, trotzdem juristisches machen. Da merkst du, wie viel du schon weißt. Das wiederum motiviert dich für dein Studium.“
Jeden Fall kann die Gruppe nicht annehmen. Unter anderem Fälle, die vor Gericht verhandelt werden müssen, werden abgelehnt. „Wir kümmern uns, so gut wir können, aber trauen uns erst mal nur eine bestimmte Menge zu. Wir wollen die Leute nicht ins Risiko drängen“, betont Jan.
Die Frage, die sich aufdrängt, bleibt: Wie kompetent kann ein Team sein, das aus Studenten besteht, die mitunter erst das zweite Semester besuchen und somit gerade an der Oberfläche des Zivilrechts schaben, wo Migrationsrecht nicht einmal ansatzweise Thema ist?
Da die Arbeit im Migrationsrecht sehr konkret ist und sich auf die Bewältigung der Fragenkataloge konzentriert, ist wenig juristisches Fachwissen erforderlich. In Schulungen bereiten spezialisierte Volljuristen die Berater vor. Die zivilrechtliche Arbeit erfordert mehr dogmatische Kenntnis. Die angenommenen Fälle werden in Zweiergruppen bearbeitet. Einer der beiden ist immer ein Student höheren Semesters. Durch die Zusammenarbeit können die jungen Mitglieder von den älteren lernen. Die Teams erarbeiten ein juristisches Gutachten, wie es auch in Klausuren an der Universität gefordert ist. „Das kriegt man mit einer Zwischenprüfung schon gut auf die Reihe“, versichert Jan. Zuletzt werden die Berater von spezialisierten Volljuristen begleitet, die die erstellten Gutachten überprüfen und Anregungen zur Verbesserung liefern. Zudem gilt es in der Vereinsarbeit, auch nicht-juristische Aufgaben zu bewältigen. Das betrifft die Organisation, Fahrdienste, Internet-Management und andere administrative Arbeiten. Wer sich juristisch noch nicht firm genug fühlt, kann hier trotzdem helfen.
Das Arbeiten für Pro Bono, besonders die Übernahme von leitenden Aufgaben, nimmt sehr viel Zeit in Anspruch. „Es ist machbar. Wir ziehen viele Multitasker an. Diese Leute sind bereits engagiert und können Zeit gut managen“, versichert Jan. Und in der Tat, das junge Team besteht aus vielen Gesichtern, die man aus Organisationen wie Amnesty International, der Studentische Zeitschrift für Rechtswissenschaft und anderen Studenten-Projekten schon kennt.
Für die Zukunft des Vereins hat Jan einen Wunsch: „Ziel ist es, und sei es erst in 20 oder 30 Jahren, dass Pro Bono Heidelberg eine nicht mehr wegzudenkende Institution der Juristenausbildung in Heidelberg wird, so wie es heute Elsa, die Zeitschrift für Rechtswissenschaft oder die Fachschaft gibt. Die Professoren sollen davon reden.“
von Christina Deinsberger