Empathie – Ein Modewort des 21. Jahrhunderts, ein unverzichtbarer Wert für jede Gesellschaft oder schlicht überbewertet? Wir stellen einige Perspektiven führender Wissenschaftler und Denker vor.
In der Sozialpsychologie wird Empathie als Quelle altruistischer Motivation diskutiert. Altruismus steht dabei im Gegensatz zu Egoismus für das Handeln mit dem Ziel, das Wohlergehen einer anderen Person zu erhöhen, nicht das der eigenen Person. Nach der Empathie-Altruismus-Hypothese führt ein stark ausgeprägtes Einfühlungsvermögen unabhängig von der Situation zu Hilfestellung. Ausgehend von dieser Annahme verhält sich ein eher egoistischer Mensch nur dann prosozial, wenn es nach dem Kosten-Nutzen-Kalkül vorteilig für ihn ist. Dies kann der Fall sein, wenn die Situation keine oder nur eine erschwerte Möglichkeit der Flucht bietet. In einer solchen Situation unterscheiden sich ein altruistisch und ein egoistisch motivierter Mensch nicht im Bezug auf ihr tatsächlich gezeigtes Verhalten, wohl aber im Hinblick auf ihre Motivation. Das mutet nach einer stark theoretisierten Überlegung zu Empathie an, die im Alltag schwer zu überprüfen scheint. Und trifft sie denn überhaupt den Kern von Empathie?
Was hat es denn nun auf sich mit diesem Begriff, der spätestens seit der leidenschaftlich geführten Diskussion um Spiegelneuronen in aller Munde ist? Und warum sollten wir uns damit auseinandersetzen? Die 4. Empathie-Konferenz im Deutsch-Amerikanischen Institut Heidelberg gab auf diese Fragen nicht eine Antwort, sondern viele. Vor den beruflichen Hintergründen der Referierenden war ein jeweils individuelles Verständnis des Begriffs „Empathie“ gegeben – und auch berechtigt: Jede Definition, oder auch bewusst die Entscheidung, Empathie nicht zu definieren, ermöglichte neue Diskurse und Blickwinkel. Dieser Raum für Meinungsvielfalt und damit einhergehende Gleichwertigkeit unterschiedlicher Betrachtungen war eine klare Stärke der Konferenz.
Licht ins Dickicht dieser Definitionen zu bringen, sie zu ordnen und in einen größeren Zusammenhang zu bringen, wäre allerdings die logische und zugleich notwendige Konsequenz. An dieser Herausforderung scheiterte die Konferenz. Die konservative Organisation der Veranstaltung, die wenig Raum für Reflexion und Austausch ließ, wurde ihrer Thematik nicht gerecht. Denn inwieweit kann ein starres Format, bei dem die (bis auf eine Ausnahme männlichen) Redner vor einem (überwiegend weiblichen) Publikum referieren, Empathie in seiner erweiterten Bedeutung, nicht zuletzt praktischer und emotionaler Art, gesamtheitlich erfassen?
Der Konferenz fehlte ein Rahmenprogramm, das zweierlei ermöglicht hätte: Zum einen eine Synthese der unterschiedlichen Standpunkte, um einen roten Faden zwischen den Vorträgen zu legen, zum anderen Raum für eine praxis-orientierte, publikums-miteinbeziehende Auseinandersetzung mit dem Thema. Letzteres hätte sich konkret in offeneren Formaten widerspiegeln können. Die Betrachtung von einem überwiegend wissenschaftlich-theoretischen Standpunkt reicht nicht aus. Denn unabhängig von jeder Definition steht Empathie für etwas Zwischenmenschliches und Gelebtes.
Von Dorina Marlen Heller und Margarete Over
[box type=“shadow“ align=“alignright“ ]Hans Ludwig Kröber, forensischer Psychiater
Gewalt ist antiempathisch und rücksichtslos. Straftätern im Umkehrschluss mangelnde Empathie als Ursache für ihr Verhalten vorzuwerfen, liegt demnach nahe. „Das obligatorische Merkmal der Tat wird damit zum überdauernden Merkmal der Person“, beschreibt Prof. Hans-Ludwig Kröber den zugrundeliegenden Prozess. Daran, dass es sich dabei um eine kurzschlüssige Denkweise handele, führte der forensische Psychiater heran. Ganz im Gegenteil verfügten Psychopathen oftmals sogar über ein besonders stark ausgeprägtes psychologisches Einfühlungsvermögen; sofern von der rein kognitiven Fähigkeit, das Verhalten anderer Menschen zu verstehen, die Rede ist. Eine Eigenschaft, die sie sich in der Folge zu Nutzen machten, um andere Menschen zu manipulieren. Und diejenigen, denen tatsächlich eben weitestgehend diese Fähigkeit fehle, Personen mit Autismus etwa, seien bei Weitem keine Straftäter. Auch „ist es oft gut, nicht alles nachzuempfinden“, betont er weiter. Gerade im therapeutischen Bereich ist es wichtig, Abstand zu wahren, um tatsächlich helfen zu können. Dies gilt sowohl bei akut Manischen als auch bei Depressiven, bei Psychosen und Panikstörungen. Deshalb spricht Kröber sich dafür aus, „den schwammigen Begriff zu verlassen und zu sagen, was wirklich gemeint ist“. Gewichtiger als das Einfühlungsvermögen seien bei Straftätern vielmehr Bindungsfähigkeit und Beziehungsstruktur. Häufig läge eine dissoziale Prägung vor, die mit den Aufwuchsbedingungen zusammenhängt. Dabei fällt es den Betroffenen zwar nicht schwer, Beziehungen einzugehen, wohl aber sie aufrechtzuerhalten. „Empathiemangel ist eine inhaltsarme, zirkuläre Scheinerklärung für komplex bedingtes Delinquenzverhalten.“ (Foto: wikimedia/Itu)
von Margarete Over [/box]
[box type=“shadow“ align=“alignright“ ]Bernhard Pörksen, Institut für Medienwissenschaft, Universität Tübingen
Geschichten machen empathisch. Wir sind das “story-telling animal” (Jonathan Gottschall), das Geschichten braucht um die Welt zu verstehen und zu begreifen. Auf einer konsumorientierten, praktischen Ebene heißt das dann zum Beispiel: Ein Unternehmensimage ist die Summe der Geschichten, die Kunden/innen sich darüber erzählen, so Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen. Er ist vom großen Potential des Geschichtenerzählens überzeugt, denn Geschichten schaffen Identität. Sie sind Botschaftsträger und können uns Inhalte auf einer anderen Ebene vermitteln. Darin liegt aber auch eine gewisse Gefahr, ein Manipulationspotential. Geschichten können auch als Korsett fungieren, sie können uns festlegen und in einen bestimmten Rahmen pressen. Man denke dabei nur an die Propaganda des 3. Reiches, gezielte, raffinierte Konstruktionen von „Geschichten“, einer anderen Realität, die das Handeln und Empfinden ganzer Generationen vergiftet haben. „Gute Geschichten“, also Geschichten, die funktionieren sollen, die empathisch machen, lassen Leerstellen, findet Pörksen. Sie integrieren eine gewisse Widersprüchlichkeit, ihnen liegt ein Konflikt zugrunde und es ist Platz für Risiko und Melancholie. Wir alle haben Geschichten zu erzählen und somit die Möglichkeit Empathie zu schaffen. ( Foto: wikimedia/Stephan Röhl)
von Dorina Marlen Heller[/box]
[box type=“shadow“ ]Richard David Precht, Philosoph und Autor
Der technische Fortschritt ist der einzige Fortschritt in der Geschichte der Menschheit, der irreversibel ist. Und wir können uns ihm nicht entziehen. Auf der Basis dieses Statements entwirft Richard David Precht seine Zukunftsvisionen für unsere Gesellschaft. Er ist überzeugt, dass die Technologie der Zukunft empathisch ist, sie antizipiert unser Verhalten, sie weiß was „gut“ für uns ist, (scheinbar) besser als wir selbst. Sie nimmt uns die „anstrengende Freiheit“, das Risiko sich falsch zu entscheiden, das – laut Precht – „Unerträgliche an der Freiheit“. Konkret könnte das heißen, dass uns die Tapete der Zukunft Einkaufs- und Ernährungsentscheidungen aufgrund der Auswertung unseres körperlichen wie emotionalen Befindens abnimmt. Diese nicht aufhaltbare Digitalisierung wird künftig auch in Schulen eine große Rolle spielen. Laut Precht ist es die Aufgabe dieser „es möglich zu machen ein erfülltes Leben zu führen“. Das ist im derzeitigen Schulsystem noch kaum gegeben. Dabei sind es gerade die „nicht-kognitiven“ Fähigkeiten, die stark mit Empathie verknüpft sind und in unserem Leben eine wesentlich größere Rolle spielen. Das wird auch in den sich verändernden Anforderungen des Arbeitsmarkts sichtbar. Extreme Flexibilität, Authentizität, die Eigenschaft Fehler zuzugeben, Neugier, sowie die Fähigkeit klug mit den eigenen Gefühlen umzugehen – so sieht Precht zufolge das Anforderungsprofil künftiger Jobbewerber/innen aus. Und Empathie will gelernt sein. Aber das funktioniert nur praktisch, niemals theoretisch, Empathie muss im jeweiligen Umfeld (vor)gelebt werden. Trotz allem macht Empathie uns noch nicht automatisch zu guten Menschen. Die „Nächstenliebe“ kann nicht so ohne weiteres zur „Fernliebe“ ausgeweitet werden. Eine vernetzte Gesellschaft ist noch lange keine empathische Gesellschaft. Ob die Zukunftsvisionen von Richard David Precht tatsächlich so oder so ähnlich eintreten können wir noch nicht abschätzen. Unabhängig davon aber bleibt Empathie einer wichtigsten Werte in jeder Gesellschaft. Darin zu investieren lohnt sich.(Foto: wikimedia/Jens Komossa)
von Dorina Marlen Heller[/box]
[box type=“shadow“ align=“alignright“ ]Heiner Keupp, Sozialpsychologe
Ellenbogengesellschaft, Generation Ego, Ichlingkultur, der Medienwelt fehlt es nicht an Begriffen für die Individualisierung der Gesellschaft – und spiegelt damit die realen Verhältnisse? Einen kritischen Blick auf die vermeintliche Tendenz zum Leben im Alleingang warf Prof. Heiner Keupp, Sozialpsychologe und ehemaliger Schüler Adornos und Horkheimers. Die steigenden Zahlen des Freiwilligenengagements widerlegten die These der Ichlinge. Gesellschaftliches Engagement sei „gelebte Empathie“, denn „Empathie ist ohne das Wir unmöglich“. Im Rückgriff auf die französische Unterscheidung zwischen ‚citoyen’ und ‚bourgeois’, schreibt er dem Begriff Bürger eine doppelte Bedeutung zu. Auf der einen Seite steht der ‚bourgeois’, der vornehmlich auf seinen eigenen ökonomischen Vorteil bedacht ist. Auf der anderen Seite befindet sich aber mit dem ‚citoyen’ einer, der sich wertegeleitet in die Gesellschaft einmischen und diese mitgestalten möchte. Er widerspricht damit Prof. Ulrich Becks These von der „Zivilgesellschaft light“, nach der sich die gelangweilte Mittelschicht engagiert. „Soziale Einbettung, Prinzipien der Verlässlichkeit und Beständigkeit gewinnen wieder an Bedeutung“, ist Keupp überzeugt. Er beschreibt einen Wandel vom klassischen Ehrenamt mit starren Vereinsstrukturen und Hierarchien zum neuen Ehrenamt, welches sich auszeichne durch geringe Formalisierung, höhere Durchlässigkeit, aber auch Selbstverwirklichung. Also doch nur Egoisten? „Etwas für sich selber tun bedeutet nicht, ein Egoist zu sein, sondern in Gesellschaft etwas zu gestalten.“(Foto: Münchner Kirchenradio)
von Margarete Over[/box]
[box type=“shadow“ align=“alignleft“ ]Walter Möbius, ehem. Chefarzt im Bonner Johanniter-Krankenhaus, Autor
„In unserer Gesellschaft wird allzu oft der medizinische Befund, aber nicht der Mensch behandelt“, beschreibt Walter Möbius den Alltag in westlichen Krankenhäusern. Die Beziehung zwischen Arzt und Patient ist ungleich, „deshalb braucht es hier die Empathie“, so Möbius. Er selbst war 40 Jahre lang praktizierender Arzt, hat Prominente wie Altkanzler Helmut Kohl medizinisch betreut und setzt sich jetzt für mehr Empathie im Krankenhausalltag ein. Dabei spielt das (ärztliche) Gespräch eine entscheidende Rolle. Schon bei Hippokrates heißt es „Erst das Wort, dann die Arznei, dann das Messer.“ Ärzte/innen, die ihren Patienten/innen zuhören und ihnen mit Respekt und aufrichtigem Interesse begegnen, schaffen eine Vertrauensebene. Studien zeigen, dass Menschen, die sich gut aufgehoben fühlen und ihren behandelnden Ärzten/innen vertrauen sowie (im Gespräch) auf die medizinischen Eingriffe vorbereitet wurden, einen schnelleren und schmerzfreieren Heilungsprozess verzeichnen. In diesem Sinne ist der empathische Umgang mit Kranken auch in jeder Hinsicht ein Gewinn für Krankenhäuser, Krankenkassen und natürlich die Patienten/innen selbst. Im Gegenzug dazu: Einsamkeit und Nicht-beachtet-werden machen krank, in Isolation leben bedeutet ein Leben ohne Empathie führen. Ärzte/innen, wie alle anderen Menschen, die mit kranken Menschen zu tun haben, haben also in ihrem Berufsumfeld die Möglichkeit mit (empathischem) Verhalten enorm viel zu bewegen, es heißt schon bei Virgil: „Menschen sind Musikinstrumente, ihre Resonanz hängt davon ab, wer sie berührt.“(Foto: MC-Möbius.de)
von Dorina Marlen Heller[/box]