25 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer hat nicht vieles die DDR überlebt. Ein Relikt hat es aber sogar bis nach Heidelberg geschafft: die ostdeutschen Ampelmännchen.
[dropcap]D[/dropcap]er Leserbrief-Schreiber der Rhein-Neckar-Zeitung war zutiefst empört: „Da werden Steuergehälter aus unserer Tasche bezahlt für Sesselfurtzer, die anscheinend nichts zu tun haben, als so eine DDR-Kacke uns aufzuhalsen“. Was war geschehen? Das Heidelberger Tiefbauamt hatte im April 1999 veranlasst, in der Weststadt zwei neue Fußgängerampeln zu installieren – an sich wahrlich kein historischer Akt. Doch dieses Mal war etwas anders: Statt der üblichen schmalen, geschlechtsneutralen Piktogramme wurden zwei in diesen Breitengraden noch nie gesichtete Symbole hervorgeholt – die Ampelmännchen aus der DDR.
Ihr Weg nach Heidelberg und andere westdeutsche Städte ist ein an Kuriositäten reicher. Entworfen am 13. Oktober 1961 in Ost-Berlin, wurde ihnen bei der Geburt eine ganz besondere Eigensymbolik verliehen: ein breiter Hut, eine dicke Knollnase und ein kleiner Bauchansatz. Ab den Siebzigerjahren verbreiteten sie sich flächendeckend in der DDR; in Kindergärten und Fernsehsendungen setzte man sie zur Verkehrserziehung ein. Als vor 25 Jahren die Mauer fiel und mit ihr sämtliche DDR-Symbole auf dem „Müllplatz der Geschichte“ landeten, interessierte das Schicksal der zwei Straßenverkehrssymbole niemanden. So wurden sie in den Neunzigerjahren fast vollständig durch ihr schlankeres westdeutsches Pendant ersetzt. In Berlin sollten sie bis zum Jahre 2000 gänzlich verschwinden.
Doch dazu kam es nicht. Zunächst beschloss 1995 der sächsische Verkehrsminister, in Sachsen wieder auf die altbekannten Männchen zurückzugreifen. Die offizielle Begründung: „Diese Sonderregelung soll einer ‚ostdeutschen‘ Identität Ausdruck verleihen.“ Im Sommer 1996 kam dann der Tübinger Industriedesigner Markus Heckhausen auf die glorreiche Idee, mit den abmontierten Ampelscheiben Geld zu machen. Er gestaltete aus ihnen Lampen und verkaufte sie in großen Mengen. Eine Idee, die bis heute trägt: Heckhausen ist Geschäftsführer der Ampelmann GmbH, die mehr als 500 Produkte, von Unterwäsche bis zu Korkenziehern, mit dem Ampelmännchen-Konterfei vertreibt.
Zur gleichen Zeit formierte sich in Berlin ein Komitee „Rettet die Ampelmännchen“. Mehrere Berliner Künstler beteiligten sich daran und wollten in einer Spaßaktion die Symbole für den Straßenverkehr erhalten. Sie verteilten T-Shirts, klebten Plakate und richteten ein Forum im damals noch steinzeitartigen Internet ein. Die Resonanz war überwältigend. Das Forum wurde in den Anfangsmonaten täglich 2000 Mal angeklickt und die T-Shirts waren schnell ausverkauft. Die Ironie dabei: Die meisten Käufer von Ampelmännchen-Lampen oder T-Shirts kamen aus Westdeutschland.
Die Geschichte vom abgewickelten und doch nicht tot zu kriegenden Ampelmännchen weckte aber vor allem das Interesse der Medien. In Zeitungen galten sie als „knuffige Kerlchen“ (Frankfurter Rundschau), der eine als „Sex-Symbol“ und der andere als „fliegender Götterbote“ (Berliner Zeitung). Beide seien „einfach niedlich“ (Süddeutsche Zeitung). Da konnte auch der Berliner Verkehrssenator nicht mehr anders: Im Februar 1997 ließ er die Ampelmännchen wieder im Ostteil der Stadt zu. Sachsen-Anhalt und Thüringen folgten im Laufe des Jahres.
Nach Heidelberg sind die Ampelmännchen wahrscheinlich 1997 gelangt, erinnert sich Axel Rohr. Nur hatte das damals noch keiner gemerkt. Rohr ist seit 1996 Leiter der Abteilung Straßenverkehrstechnik im Heidelberger Tiefbauamt. Seine Beweggründe für die Entscheidung klingen einleuchtend: Es handle sich bei ihnen um etwas „Niedliches“. Sie besitzen eine doppelt so große Leuchtfläche und ihre Symbolik sei „einfach selbst erklärender“. Erst auf Nachfrage gibt er zu erkennen, dass es durchaus auch andere Motive gab: Er habe 35 Jahre in Ost-Berlin gelebt, sei vor der Wiedervereinigung in den Westen gegangen und gibt scherzhaft zu, dass er sich mit der Einführung der Ampelmännchen „auch ein kleines Denkmal“ setzen wollte. Es sei das „Schwarze unter dem Fingernagel“ gewesen, was man aus der DDR hätte übernehmen können.
Und so behielt der RNZ-Leserbrief-Schreiber in Teilen Recht: „Wahrscheinlich sind Sie ein Ossi, dann sollten Sie sich ganz fix wieder ins Honeckerland verdünnisieren, verehrter Herr Rohr!“ Doch zum Glück blieb Rohr – und so wird seither bei jedem Ampelum- oder -neubau in Heidelberg auf die Ampelmännchen aus der DDR zurückgegriffen. Mittlerweile ist fast jede zweite Ampel mit ihnen versehen. An die DDR denkt man bei ihnen schon lange nicht mehr.
von Michael Graupner