Seit Juli 2013 verhandeln die USA und die Europäische Union über das Transatlantische Freihandelsabkommen TTIP und den Abbau von Handelshemmnissen. Bietet die Öffnung der Märkte den Bürgern der EU neue Möglichkeiten oder stellt sie eine Gefahr für Arbeitnehmer und Verbraucher dar? Zwei Experten sind gegen das Freihandelsabkommen.
Martha Mertens, freiberufliche Gutachterin und Referentin im Bereich Biotechnologie:
Das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA (Transatlantic Trade and Investment Partnership, TTIP) betrifft nahezu alle Bereiche der Gesellschaft. Es sollen Handelshemmnisse beseitigt und unterschiedliche Standards angeglichen werden. Wird der Rahmen des Mandats ausgeschöpft, werden demokratische Entscheidungsprozesse, Umwelt-, Verbraucher- und Gesundheitsschutz, Daseinsvorsorge, Kultur und Arbeitsstandards erheblich betroffen sein. Aus Sorge vor dieser Entwicklung haben im Sommer 2014 über 100 Ärztinnen und Ärzte, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in einem offenen Brief an Bundeskanzlerin Merkel den Stopp der Verhandlungen gefordert. (Beiträge zu verschiedenen Aspekten von TTIP finden sich auf der Website http://kritik-freihandelsabkommen.de/).
Am Beispiel Agrogentechnik lässt sich erkennen, welcher Druck in Richtung Angleichung von Standards und Deregulierung ausgeübt wird. Denn die Agroindustrie hofft, mittels TTIP den Einsatz von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) in der Landwirtschaft der EU durchzusetzen. Während in den USA über 100 GVO angebaut werden können1, ist in der EU derzeit nur ein GVO, die insektenresistente Maislinie MON810, im Anbau. Allerdings sind über 50 GVO zum Import als Futter- und Lebensmittel zugelassen.
Zu dieser unterschiedlichen Entwicklung tragen gesetzliche Regelungen bei: In der EU liegt dem Gentechnikrecht das Vorsorgeprinzip zugrunde, wonach bei der Zulassung von GVO nicht nur erwiesene, sondern auch mögliche Gefahren zu berücksichtigen sind. In den USA gilt hingegen ein GVO im Prinzip so lange als ungefährlich, bis seine Schädlichkeit bewiesen ist. Auch fehlt eine einheitliche Regulierung von GVO.
Agroindustrie und US-Regierung fordern nun, EU-Regelungen „anzupassen“ und so Handelsbarrieren zu beseitigen2. Es geht um beschleunigte EU-Zulassungsverfahren für GVO und die Erlaubnis, gentechnisch verunreinigtes Saatgut auf den Markt zu bringen. Auch die Gentechnik-Kennzeichnung der EU steht unter Beschuss: GVO-Produkte sollten nur per Strichcode kenntlich sein. Kritisiert werden zudem nationale Anbauverbote für GVO sowie Maßnahmen zur Sicherung der Koexistenz zwischen GVO- und nicht-GVO-Anbau.
Laut EU-Kommission sollen zwar grundlegende Gesetze wie die zur Gentechnik nicht verhandelt werden, einschließlich der GVO-Sicherheitsbewertung durch die EFSA (European Food Safety Authority), jedoch soll der Handel durch die jeweiligen Zulassungssysteme so wenig wie möglich beeinträchtigt werden3.
Doch auch bei Beibehaltung der EU-Gentechnikgesetze steht zu befürchten, dass eine gegenseitige Anerkennung der Standards zur Zulassung von GVO durch die Hintertüre führt. So lassen sich etwa Grenzwerte für in der EU nicht zugelassene GVO in Lebensmitteln („low level presence“) ohne Gesetzesänderung durch Kommissions-Verordnungen einführen – wie bei Futtermitteln 2011 bereits geschehen. Ein „praktikabler Grenzwert“ für GVO in konventionellem Saatgut wird von der Saatgutindustrie seit Jahren gefordert, TTIP könnte hier ein Türöffner sein. Eine neue Studie zeigt zudem, dass die im Koalitionsvertrag erwähnte Kennzeichnungspflicht für Produkte von Tieren, die mit gentechnisch veränderten Pflanzen gefüttert wurden, unter TTIP nicht erreichbar wäre4.
Der Text des geplanten Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada (Comprehensive Economic and Trade Agreement CETA) ist geeignet, Zweifel an der Standfestigkeit der EU-Kommission in Sachen Agrogentechnik zu säen. Denn neben dem Informationsaustausch soll auch die Kooperation verbessert werden, etwa bzgl. der Risikobewertung von GVO5. Eine Abkehr vom Vorsorgeprinzip könnte eingeleitet werden. Die angestrebte internationale Kooperation beim Thema „low level presence“ lässt angesichts der Industrieforderungen nichts Gutes ahnen. Sollte CETA beschlossen und – wie vielfach befürchtet – eine Art Vorlage für TTIP sein, wird sich der Druck auf die EU, der Agrogentechnik Tür und Tor zu öffnen, massiv erhöhen6.
Dabei ist ein anderer Weg der Landwirtschaft, weg vom massiven Pestizideinsatz, von Monokulturen, Einförmigkeit und Gentechnik, hin zur Vielfalt und zu gesundheits- und umweltverträglichen Methoden dringend geboten, um die mit der Intensiv-Landwirtschaft verbundenen Negativeffekte zu vermeiden. Wie am Beispiel USA zu sehen ist, verfestigt die Agrogentechnik den Pfad in die falsche Richtung. Die europäische Öffentlichkeit tut deshalb gut daran, sich dagegen zu wehren.
[box type=“shadow“ ]1. http://www.aphis.usda.gov/biotechnology/petitions_table_pending.shtml, 2. http://www.ustr.gov/sites/default/files/2013%20SPS.pdf, 3. http://ec.europa.eu/trade/policy/in-focus/ttip/questions-and-answers/index_de.htm, 4. http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/ttip-freihandelsabkommen-durchkreuzen-gen-politik-der-bundesregierung-a-1001211.html, 5. http://www.tagesschau.de/wirtschaft/ceta-dokument-101.pdf, S.449-450, 6. http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/gruene-gentechnik-vernebelungstaktik-im-supermarkt-1.2298733 [/box]
Michael Schecht, Mitglied des Bundestages (Die Linke):
Die Verhandlungen über die so genannte Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft laufen bereits seit Monaten und zwar hinter verschlossenen Türen. Schon das allein spricht gegen das Abkommen – wäre es zu aller Nutzen, bräuchte es keine Geheimhaltung.
Inhaltlich geht es einerseits um Zoll-senkungen, vor allem aber um die „Anpassung“ von Gesetzen, Zulassungs- und Kontrollverfahren sowie Verpackungs- und Informationsvorschriften – sogenannte „nicht-tarifäre Handelshemmnisse“.
Lobbyisten, EU-Kommissare und Bundesregierung trommeln für TTIP. Sie eröffnen die Chance, dass die zwei größten Handelsräume weltweit Maßstäbe setzen, wirbt Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel. EU-Handelskommissar Karel de Gucht stellt einen „beispiellosen Impuls“ für die EU-Wirtschaft in Aussicht.
Wie der aussehen könnte, hat das Institut CEPR ausgerechnet. Es sagt in einem „optimistischen Sze-nario“ bis zum Jahr 2027 einen Wachtums-schub von 0,5 Prozent für die EU und von 0,4 Prozent für die USA voraus. Selbst wenn das erreicht würde – der versproch-ene Zuwachs ist ein Witz. Die CEPR-Prognose entspräche einem zusätzlichen Wirtschaftswachstum von 0,03 Prozent pro Jahr. Das soll ein „beispielloser Impuls“ sein? Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung zu den TTIP-Wirkungen kommt auf einen Zuwachs von 160 000 Arbeitsplätzen in Deutschland innerhalb von 10 bis 20 Jahren. Das ist schon das „optimistische Szenario“ – und ebenfalls lächerlich. Es entspräche 8000 bis 16.000 neuen Jobs pro Jahr – und insgesamt einem Anstieg der deutschen Beschäftigung um magere 0,4 Prozent.
Auch der US-Wirtschaft brächte TTIP übrigens nichts. „Ich bin eigentlich ein Freund des Freihandels“, schrieb kürzlich der US-Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman, „aber ich wäre nicht enttäuscht, eher ein bisschen erleichtert, wenn TTIP einfach verschwindet.“ Soviel zum „Nutzen“ von TTIP. Der Schaden des Freihandelsabkommens hingegen wäre riesig. Mühsam erkämpfte Rechte, Stand-ards und Schutzmechanismen würden über Bord geworfen. Drei Beispiele:
Beim Umweltschutz gilt in der EU: Ein Unternehmen muss etwa beweisen, dass eine Substanz unschädlich ist. In den USA dagegen darf diese Substanz auf den Markt, bis bewiesen ist, dass sie schädlich ist. Eine „Harmonisierung“ würde bedeuten: Die – schlechtere – US-Regel gilt.
Schon heute leidet die Versorgung von Patienten unter der harten Konkurrenz von öffentlichen und privaten Krank-enhausträgern. Künftig würden US-Gesundheitsdienstleister mit in den Ring steigen. Logische Folge: Die Qualität der Versorgung sinkt weiter, ebenso die Löhne der Beschäftigten.
Mit TTIP soll das öffentliche Beschaffungswesen liberalisiert werden. Wenn der Staat Aufträge ausschreibt, dürfen sich dann auch US-Konzerne bewerben. Von der verschärften Konkurrenz profitieren die großen Unternehm-en, kleine und mittlere Firmen unterliegen.
Besonders gefährlich wären die Einrichtung von internationalen Schiedsgerichten und die Verankerung von „Streitschlichtungsmechanismen“. So könnten Konzerne Staaten verklagen, wenn sie ihre Investorenschutzrechte verletzt sähen. Als „indirekte Enteignung“ kann dabei bereits gelten, wenn staatliche Regel-ungen dazu führen, dass ein Investor nicht die erwartete Rendite einfährt. Dann können riesige Schadenersatz-Zahlungen fällig werden. Derzeit verklagt Vattenfall aufgrund einer derartigen Regelung die Bundesrepublik auf 4,7 Milliarden Euro, weil der Atomausstieg die Einnahmen des Konzerns schmälern wird.
Insgesamt soll TTIP dazu dienen, den Wettbewerbsdruck zu erhöhen, um mehr „Wettbewerbsfähigkeit“ herzustellen. Damit, so die Hoffnung der TTIP-Freunde, können die USA und die EU mit Schwellenländern wie China mithalten. Das bedeutet letztlich: Löhne und Arbeitsstandards sollen in Richtung chinesisches Niveau gedrückt werden. Davon profitieren bestenfalls die großen Konzerne – aber keineswegs „wir alle“.