Zahlreiche Studenten begeben sich nach der Bibliothek in den Kosmos von Spielplätzen und Kaugummiblasen. Ein Bericht zum Studieren mit Kind.
Wir hatten einen Plan. Wir hatten ganze Seiten unserer Notizblöcke mit Fragen vollgeschrieben, die Bleistifte gespitzt und in kurzer Zeit auch schon wieder den nächsten Termin. Vor allem aber hatten wir keine Ahnung, dass das in der Sekunde, in der wir das Familienappartement des Studierendenwerkes betraten, alles nichtig sein sollte. Dass wir heimkehren sollte mit einem Notizblock, den jemand mit abstrakt-gekritzelten „Bemerkungen“ versehen hatte. Mit gebrochener Bleistiftspitze und natürlich gnadenlos zu spät für den nächsten Termin. Wir hatten soeben einen Menschen getroffen, der erst zwei Jahre auf dieser Welt war. Der lässt wenige Pläne, die man sich so fein säuberlichmacht, widerspruchslos gelten. Mit einem solchen Menschen zu leben, wenn man selbst gerade ziemlich genaue Pläne – Studienpläne – einhalten muss: Geht das?
Für Laura muss das gehen. Sie hat ihr Studium schon schwanger begonnen. Seit zwei Jahren teilt sie nun ihren Tag zwischen Univerpflichtung bis 13 Uhr und Kinderbetreuung am Nachmittag. Erst recht spät am Abend kommt sie wieder dazu, sich mit ihrem Studium zu beschäftigen.
Man wisse seine Zeit immerhin besser zu nutzen, weil man sie ganz erbarmungslos limitiert sieht. Die Tagesabschnitte, die zur Verfügung stehen, füllt man effektiver. „Anfangs war das sogar noch einfacher.“ Laura studiert Theologie und hat ihr Kind, Miriam, in seinen ersten Lebensmonaten an dem regelmäßigen Genuss von Altgriechisch-Kursen teilhaben lassen. Das war nicht nur frühpädagogisch ambitioniert, für das Mutter-Tochter-Gespann war es die einzig probate Lösung. Auch für die Dozenten sei Lauras Begleitung völlig in Ordnung gewesen: „Sie hat ohnehin nur geschlafen. Ab und zu mal ein wenig Aufruhr, aber da sagt niemand was.“ Es wird wohl noch einige Jahre dauern, bis Miriam wieder so gut in Vorlesungssälen schläft. Bis dahin ist sie in der Kita besser beschäftigt.
In jedem Fall steht in Heidelberg eine gute Betreuung zur Verfügung
In Heidelberg ist das Betreuungsangebot recht gut, wissen die Beraterinnen vom Gleichstellungsbüro. Im Neuenheimer Feld gibt es halb- und ganztägige Angebote, die punktuelle Betreuung bei Konferenzen oder Tagungen wird stetig ausgebaut und auf einen Kita-Platz muss man nicht sehr lange warten. „Vielleicht ist es nicht der Wunschplatz, vielleicht liegt die Kita nicht direkt um die Ecke, aber in jedem Fall steht in Heidelberg gute Betreuung zur Verfügung“, versichert Agnes Speck.
Das Gleichstellungsbüro hat auch den Club Parentes ins Leben gerufen – ein Ort, an dem studierende Eltern in Begleitung ihrer oft noch sehr jungen Sprösslinge zusammenkommen, um gemeinsam zu basteln oder Vorträgen über für Eltern interessante Themen zu lauschen. Diese Zusammenkunft von Menschen, die vor den gleichen Herausforderungen stehen, begründet zugleich die Möglichkeit, sich darüber hinaus auszutauschen und zu organisieren in Babysitter-Gruppen oder Fahrgemeinschaften. Frau Speck ist überzeugt, dass Studieren mit Kind keine Ausnahmesituation, kein stigmatisierendes Dilemma ist, sondern eine Lebensentscheidung.
Eine Hürde ist jedoch, dass die Angebote zwar zahlreich sind, sie doch sehr zergliedert und unübersichtlich in Erscheinung treten. Grund dafür ist, dass gleich mehrere Stellen sich diesem Thema widmen. Einerseits bietet das Gleichstellungsbüro Beratung während und nach der Schwangerschaft an. Die Mitarbeiterinnen helfen besonders, die
Kommunikation mit den Dozenten und Fachschaften anzustoßen. Konkret kann die Studienberatung bei Prüfungs- und Studienablaufsfragen konsultiert werden. Das Studierendenwerk hilft mit Informationen über familienfreundliche und günstige Wohnungen, Finanz- und Sozialberatung. Abseits der Universität widmen sich auch Profamilia und städtisch subventionierte Projekte dem Thema.
Alle Anlaufstellen klären auf über Fragen wie: Will und kann man sein Studium in Teilzeit absolvieren und welche Konsequenzen resultieren daraus? Nimmt man drei Jahre Mutterschutz oder Elternzeit? Bezieht man derweilen Arbeitslosengeld? Möchte man sein Kind den ganzen Tag in Bet
reuung lassen oder wie kann man das nebeneinander sortieren? Und schließlich stellt sich natürlich die Frage nach dem Geld.
„Da bleibt ein gewisses Risiko“, wendet Erik, 25, ein. Im Februar kommt sein erstes Kind zur Welt. Er weiß: Ein Kind ist teuer und ohne staatliche Unterstützung für einen Studenten nicht zu schultern. Man könnte das eine Einsicht aus einem beachtlichen Marathon durch Anträge, Stiftungsbewerbungen und Bedarfsprüfungen nennen: Unterstützung gibt es. Allerdings müsse man sich dafür bewegen, „nackig machen“ und hinterher sein. Zahlreiche Anträge und Bestätigungen sind erforderlich: Erstausstattungsantrag, Anerkennung der Vaterschaft, geteiltes Sorgerecht, Kinder-, Eltern- und Wohngeld, die Suche nach einer Hebamme, einem Krankenhaus und schließlich dem Betreuungsplatz. Das bedarf einigen organisatorischen Geschickes.
Auch die alleinerziehende Laura würde sich für die Handhabe dieser Formalitäten eine zentrale Verwaltung wünschen, anstatt jedes Jahr eine Vielzahl von Anträgen bei einer Vielzahl von Anlaufstellen einreichen zu müssen.
Man tut eben, was man kann; der Rest muss auch mal warten
Nichtsdestoweniger ist Erik überzeugt, dass gerade am Studienende Familiengründung gut in sein Leben und das seiner Freundin passt. Besonders mit der Unterstützung einesPartners kann man sich Aufgaben gut teilen und Tagesabläufe koordinieren. Und er gibt zu bedenken, dass er unter keinen anderen Umständen so viel und oft an seinem Kind, dessen Großwerden und Aufwachsen teilhaben kann wie nun, da er nur wenige Kurse in der Woche besuchen muss, finanziell unterstützt wird und selbst noch sehr jung ist.
Auch Laura weigert sich, sich als eingeschränkt zu beschreiben. „Natürlich gibt es immer Punkte, bei denen man weniger flexibel und spontan sein kann.“ Man sei eben an ein starkes privates Netzwerk gebunden. Wenn man sich auf ein solches verlassen kann, sind viele Probleme gut zu bewältigen. Auch müsse man sich von jedem Anspruch auf
Perfektion gnadenlos verabschieden. Man tut eben, was man kann; der Rest muss auch mal warten oder eben die Präsenz eines Kinderwagens und zerliebter Kuscheltiere im Café oder im Hörsaal ertragen.
Studieren ist eine Herausforderung; Kinder großzuziehen auch. Die Kombination dessen kann dem einen wahnsinnig scheinen, dem anderen hervorragend kompatibel. Dass es aber möglich ist, beweisen täglich Heidelberger Mütter und Väter, die ausdauernd zwischen Spiel- und Studierzimmer oszillieren.
Und all die schönen Pläne, Anschlusstermine und Notizen, die sich bedrängen lassen müssen, kranken und plötzlich ganz andere werden – nun – die werden schon damit klarkommen.
von Christina Deinsberger und Hanna Miethner