Der polnische Pianist Piotr Anderszewski eröffnete mit einem eindrucksvollen Klavierabend in der Heidelberger Stadthalle den Pianistenreigen des diesjährigen Heidelberger Frühlings. Noch bis zum 25. April stehen zahlreiche weitere Konzerte auf dem Festivalprogramm.
Der Frühling ist da. Nicht bloß meteorologisch, sondern seit einigen Tagen auch, was das Heidelberger Kulturleben angeht. Seit vergangenem Samstag geht das alljährliche Klassikfestival Heidelberger Frühling in eine neue Runde. Den Auftakt zu einer ganzen Reihe pianistischer Glanzstunden gab am 24. März Piotr Anderszewski mit einem Klavierabend in der Heidelberger Stadthalle.
Etwas stiller geworden war es in den letzten Jahren um den polnischen Pianisten, der mit medialer Selbstbeweihräucherung wenig am Hut hat. Nachdem er 2014 weitgehend pausierte, erschien Ende des Jahres eine von der Kritik hochgelobte Einspielung mit drei von Bachs Englischen Suiten. Eine davon, die Suite in g-Moll, stand nun auch am Anfang von Anderszewskis Heidelberger Programm. Wirkte er im Kopfsatz emotional etwas unterkühlt, steigerte sich die Intensität im Laufe der folgenden Sätze spürbar. Extreme dynamische Kontraste, plastisch herausgearbeitete Mittelstimmen, tänzerische Spielfreude – die Markenzeichen von Anderszewskis Bachspiel waren auch hier zu spüren. Auch wenn das Ganze mit historischer Aufführungspraxis wenig zu tun hat – mit orchestraler Klangfülle und Pedaleinsatz geizt Anderszewski nicht – wirkt schon das erste Stück des Abends erfrischend unkonventionell. Wer von Anderszewski seinem Image entsprechend Priesterlich-Weihevolles erwartet hatte, wurde zum Glück enttäuscht. Auch wenn seine Bühnenpräsenz mitunter asketisch wirkt – er trägt einen einfachen schwarzen Pianistenhabit, enthielt sich, zumindest im ersten Teil des Abends, auffallender Gestik und Mimik – Anderszewskis Spiel ist es ganz und gar nicht. Grandios, wie er den mit Dissonanzen gespickten langsamen Satz der Suite schockierend lautstark beginnt, um ihn dann auf ein subtiles Pianissimo zu reduzieren. Eindrucksvoll auch, mit welcher Verve er sich in die abschließende Gigue stürzt und in den Wiederholungen immer wieder Akzente verschiebt.
Ähnlich dynamisch ging es auch mit Beethovens letztem Klavierwerk, den Sechs Bagatellen op. 126, weiter. Dass Anderszewski ein intimer Kenner von Beethovens pianistischem Spätwerk ist, wusste man schon seit seiner vor mehr als zehn Jahren erschienenen DVD-Einspielung der „Diabelli-Variationen“. Die in der Zwischenzeit ebenso von ihm eingespielten Bagatellen gelingen ihm vorzüglich. Auch hier setzt sich sein auf scharfe Kontraste zwischen Lyrischem und Ungestümen angelegtes Spiel fort. Vielleicht sogar etwas organischer als bei der Bach-Suite, der etwas weniger Prokofjew-Artiges an manchen Stellen nicht geschadet hätte.
Der zweite Teil des Abends stand ganz im Zeichen Robert Schumanns, für dessen Klavierwerk Anderszewski geradezu prädestiniert scheint. Das launenhaft Aufbrausende und dann wieder schüchtern Insichgekehrte von Schumanns Musik kommt dem 1969 in Warschau geborenen Pianisten sehr entgegen. Schon bei der einleitenden Novellette, der letzten aus dem Zyklus op. 21, gibt es für Anderszewski fast kein Halten mehr. Die große C-Dur-Fantasie, die er an das Ende seines Programms gesetzt hatte, war dann der Höhepunkt des Abends. Hier konnte er sich voll ausleben und war sichtlich ergriffen vom eigenen Spiel. Schumanns Vortragsbezeichnung „durchaus phantastisch und leidenschaftlich“ nahm Anderszewski in seiner Interpretation durchaus wörtlich. Zwar waren auch hier die virtuosen Passagen gelegentlich schmetternd und alles andere als rational kalkuliert; was Anderszewski in seinen besten Momenten aber an Farbenreichtum und Kantabilität zu bieten hat, sucht auf dem aktuellen Schumann-Markt seines Gleichen. Mit leisen Tönen – einer Volksliedbearbeitung Bartóks und Schumanns letztem Klavierwerk, den herrlich lyrischen „Geistervariationen“ – verabschiedete sich Anderszewski von seinem Heidelberger Publikum.
Noch nicht vorbei ist der Heidelberger Frühling. Ganz im Gegenteil. Mehr als fünfzig Veranstaltungen – von Kammermusikabenden über Afterwork-Konzerte bis hin zur traditionsreichen Liedakademie (mit Stars wie Thomas Hampson, Ian Bostridge und Thomas Quasthoff) – stehen bis Ende April auf dem Programm des Festivals. Der frisch geadelte Sir András Schiff tritt in den nächsten Tagen gleich drei Mal solistisch und kammermusikalisch auf, daneben gibt es zahlreiche Konzerte mit dem Heidelberger Stammgast Igor Levit und Künstlern der Festivalakademie, bevor Gautier Capuçon als Solist mit dem WDR-Sinfonieorchester unter Jukka-Pekka Saraste am 25. April das Festival beschließt. Wer sich mehr als ein Konzert gönnen möchte: Für Studenten gibt es an der Abendkasse Karten für 8 Euro.
von Tim Sommer
[box type=“shadow“ ]Der Heidelberger Frühling bietet noch bis zum 25. April ein vielfältiges musikalisches Angebot. Das vollständige Programm findet ihr hier. [/box]