Der Heidelberger Studierendenrat (StuRa) ist wegen der Unterstützung einer Busfahrt in Zusammenhang mit den Frankfurter Blockupy-Protesten vom 18. März in die Kritik geraten. Das führte zur Diskussion über die Aufgaben und das Selbstverständnis des Gremiums.
Die Studenteninitiative „Akut (+C)“ hatte zur Beteiligung an den kapitalismuskritischen Aktionen anlässlich der Eröffnung des neuen Gebäudes der Europäischen Zentralbank aufgerufen und einen Bus nach Frankfurt organisiert. Zur Finanzierung des Busses und einer im Vorfeld veranstalteten Podiumsdiskussion zum „Sinn und Unsinn“ der Proteste wurde „Akut (+C)“ dabei die Unterstützung durch das Referat für Politische Bildung des StuRa mit bis zu 500 Euro zugesichert.
Nachdem es im Verlauf der Blockupy-Proteste zu Ausschreitungen gekommen war, kritisierten der Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) und die Liberale Hochschulgruppe (LHG) das Engagement des StuRa scharf: „Eine Veranstaltung mit einem solchen Gewaltpotential trägt sicherlich nicht zu der Förderung politischer Bildung und des staatsbürgerlichen Verantwortungsbewusstseins bei und hätte daher nicht durch die Referate-Konferenz unterstützt werden dürfen“, erklärte der LHG-Vorsitzende Sven Dorkenwald. Beim RCDS sprach man von der „Finanzierung linksextremistischer Projekte durch studentische Gelder“ und forderte den Rücktritt der verantwortlichen Referenten. Die Referatekonferenz, das Exekutivorgan des StuRa, hält die Vorgänge für rechtens: Man gehe davon aus, dass sich die Studenten im Bus ausschließlich an gewaltfreien Demonstrationen beteiligt hätten.
Inzwischen haben sich der Stuttgarter Landtag und das Rektorat der Uni mit dem Vorfall beschäftigt. Informiert durch den RCDS, brachte die Abgeordnete Sabine Kurtz (CDU) das Thema in der parlamentarischen Fragestunde zur Sprache. Sie wollte wissen, wie die Regierung die Blockupy-Unterstützung des StuRa aus Geldern der Heidelberger Studenten beurteile. Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) erklärte daraufhin, man wolle der Prüfung der Vorfälle durch das Rektorat der Universität nicht vorgreifen, betonte aber ihr Zutrauen in die Verfasste Studierendenschaft (VS).
Die Prüfung des Rektorats, das die Rechtsaufsicht über die VS führt, ist noch nicht abgeschlossen. Nach derzeitiger Einschätzung hält man die Finanzierung und allgemeinpolitische Betätigung des StuRa für „rechtswidrig“. Mit der Finanzierung des Busses habe die VS ihre gesetzliche Aufgabenzuweisung überschritten.
Der StuRa testet seine Grenzen aus
Die Vorwürfe der Rechtsaufsicht wiegen schwer: Mit der Finanzierung der Busfahrt zur Blockupy-Demonstration nach Frankfurt habe die VS „rechtswidrig ein allgemeinpolitisches Mandat wahrgenommen“. Da sich die Proteste gegen die Krisenpolitik der Europäischen Union gerichtet hatten, sei kein spezifisch studentischer oder hochschulpolitischer Belang erkennbar. Auch die Erforderlichkeit der Finanzierung insgesamt hält das Rektorat für zumindest „fraglich“. Die Verantwortlichen hatten vorgegeben, mit dem Bus auch jenen, die sich ein Zugticket nicht hätten leisten können, die Teilnahme an der Demonstration zu ermöglichen.
Das Rektorat beabsichtigt nun offenbar, den Finanzbeschluss des Referats für Politische Bildung zu beanstanden und die Auszahlung der bewilligten Mittel, sofern sie noch nicht erfolgt ist, zu verbieten. Sollte die Rechtsaufsicht diese vorläufige Ansicht bis zum Abschluss ihrer Prüfung nicht ändern, muss die umstrittene Busfinanzierung als bislang deutlichster Rückschlag in der noch jungen Geschichte der wiedereingeführten Verfassten Studierendenschaft in Heidelberg gelten. Und das, obwohl der Vorfall zugleich Beispiele dafür liefert, wie gut der Studierendenrat im Allgemeinen funktioniert: Immerhin hatte sein Pressereferent Lukas Hille, ein bekennender Konservativer, die Entscheidung der VS auf Nachfrage des Wissenschaftsministeriums im Sinne seines Amtes verteidigt – und sich damit nicht nur fraktionsübergreifende Anerkennung erworben, sondern auch eine wohltuende Prise Institutionenstolz gezeigt.
Als weniger reif hingegen erwies sich die Debattenkultur während der letzten beiden StuRa-Sitzungen, in denen der Blockupy-Fall behandelt wurde. Nicht, dass man sich gegenseitig der Lüge und Schaumschlägerei bezichtigte, musste hier überraschen (im Gegenteil, diese Polemik machte die Sitzungen überhaupt erst lebendig); vielmehr erstaunte die Tatsache, dass sich die Diskussion im Rat selbst vor allem darum drehte, die Entscheidung des Referats für Politische Bildung im Lichte der Eskalationen vom 18. März zu betrachten – als ob die Teilnahme der Heidelberger Demonstranten für die Ausschreitungen konstitutiv gewesen wäre. Zwar versuchten RCDS und LHG, die Vorfälle in Frankfurt zu einer Bürgerkriegsszenerie zu überzeichnen. Glaubhaft war das jedoch nicht, zumal allzu leicht ersichtlich wurde, dass der RCDS die Gelegenheit für eine grundsätzliche Abrechnung mit der Institution des Studierendenrats nutzen wollte. Auf seine Initiative erst war die Debatte um die strittige Busfahrt überhaupt in den Landtag gelangt, wie die Abgeordnete Kurtz, zu deren Wahlkreis Leonberg die Uni Heidelberg nachweislich keinen Bezug hat, selbst bestätigte.
„Aufgabe des StuRa ist es, die Studierenden zu politisieren“
Umgekehrt versäumten es aber die Verteidiger der Referats-Entscheidung, zu begründen, wie sich die Finanzierung eines Busses zu Blockupy-Protesten mit dem Neutralitätsgebot der VS in politischen Angelegenheiten vereinbaren lässt. Die Rechtfertigung, die Mitfahrt sei „offen für alle“ gewesen, erweist sich mit Blick auf den Protest-Aufruf der Organisatoren von „Akut (+C)“ als wenig überzeugend: Die Gruppe hatte für ihre „antifaschistische“ Aktion finanzielle Unterstützung gesucht und diese beim Referat für Politische Bildung gefunden – genauer: bei den beiden dafür zuständigen Referenten, die in der vorlesungsfreien Zeit geräuschlos und ohne Diskussion im Rat über die Bewilligung zu entscheiden gerne bereit waren. Wie das Referat dieses Engagement im Rückblick „als einen Erfolg“ werten kann, muss rätselhaft bleiben.
Lässt man das ideologische Geplänkel beiseite, bleiben von diesem Skandälchen genau zwei Fragen übrig: Zum einen die nach der Rechtfertigung von politischen Aktionen, finanziert von der VS aus Mitteln studentischer Semesterbeiträge. Bei der breiten Studentenschaft dürfte das gezeigte Engagement eher auf Ablehnung stoßen. Die populistische Rede von „Zwangsbeiträgen“ könnte da schnell auf fruchtbaren Boden fallen.
Die zweite Frage ist eine grundsätzlichere: Wie politisch darf und soll der StuRa sein? Das Selbstverständnis der linken StuRa-Mehrheit, die einen über Hochschulangelegenheiten hinausgehenden allgemeinpolitischen Anspruch vertritt, unterscheidet sich da deutlich von dem der „bürgerlichen“ Fraktionen – und wohl auch von der Mehrheit der Studentenschaft, die nur zu knapp über 13 Prozent an der letzten Uniwahl teilgenommen hat. Letzteres freilich sieht man beim Referat für Politische Bildung gerade als Anlass, auf die Politisierung der Studentenschaft hinzuwirken.
Unklar bleibt aber, wem damit geholfen ist, wenn Heidelberger Studentenvertreter die gewaltsame Räumung des Maidan-Platzes in Kiew verurteilen oder „Meinungsfreiheit für venezuelanische Studierende“ einfordern (aus den Pressemitteilungen des StuRa). Für diese wie für den nun diskutierten Fall beanspruchen die Verantwortlichen allerdings hochschulpolitische Relevanz: „Die europäische Wirtschaftspolitik ist ganz allgemein ein Anliegen der Studierenden, da wir in ihrem Horizont leben und sie unseren Alltag jederzeit radikal verändern kann“, heißt es in der Stellungnahme der VS zu den Vorwürfen des Rektorats. Insofern sei „eindeutig ein Bezug zur VS gegeben und das Referat für Politische Bildung zu Recht tätig geworden.“
Die Eröffnung dieses Standpunkts und seiner Gegenposition sind das gewinnbringende Ergebnis der gegenwärtigen Diskussion. Die Debatte um eine fragwürdige Busfahrt und der unbewiesene Vorwurf der Bezuschussung linksautonomer Gewalttäter durch das Geld der Heidelberger Studentenschaft sollte deshalb endlich beiseite gelegt werden, um über den eigentlichen Kern des Dissens zu streiten. Liegen die gegenwärtigen VS-Vertreter richtig in der Überzeugung, es sei ihre „Aufgabe, die Studierenden zu politisieren“? Oder muss nicht vielmehr der Gedanke, dass Kommilitonen sich gegenseitig zu erziehen beanspruchen, reichlich anmaßend erscheinen? Die Idee, die Masse der Studenten leide unter „falschem Bewusstsein“, das es ihnen auszutreiben gelte, muss dabei als ebenso anachronistisch gelten wie der konservative Reflex, in jeder politischen Einmischung einer organisierten Studentenschaft linksradikale Umtriebe zu vermuten.
Von Kai Gräf