Dichter wie Brentano, von Arnim und Eichendorff begründen nach 1800 einen Mythos: Die Heidelberger Romantik.
Anfang des 19. Jahrhunderts liegt Deutschlands geistiges Zentrum in einer kleinen Wohnung am Heidelberger Schlossberg. Zumindest erscheint das Clemens Brentano und Achim von Arnim so, zwei Dichtern, die es in die Neckarstadt gezogen hat. Hier, im Schatten der Weinberge und in den Gassen der Altstadt, werden sie forschen, diskutieren, schreiben. Und einen Mythos begründen: Die Heidelberger Romantik.
Denn Heidelberg wird an der Wende zum neuen Jahrhundert für viele Besucher wieder attraktiv. Im 18. Jahrhundert galt die Stadt mit ihren verwinkelten Gassen vielen noch als zu eng und beschränkt. Für die Romantiker aber scheint Heidelberg mit seiner Lage im Neckartal, der Altstadt und dem Schloss alles zu verkörpern, wovon sie schwärmen. Auch die Universität trägt zum Ansehen der Stadt bei. Nachdem die Kurpfalz 1803 an Baden gefallen ist, beginnt der badische Großherzog Karl Friedrich mit ihrer umfassenden Modernisierung. Steigende Studentenzahlen und wachsende Anerkennung sind die Folge.
Ein Professor dieser neubelebten Universität ist Friedrich Kreuzer, Altphilologe und Schriftsteller. In einem Brief an seinen Freund Brentano schwärmt er von Heidelberg, das „ein Ort für Männer ist, die das alte große Teutschland in ihrem Herzen tragen“. Brentano zieht tatsächlich wenig später in die Stadt. Ihm folgen Gleichgesinnte wie Achim von Arnim oder Joseph Görres, später auch Joseph von Eichendorff.
Sie alle fühlen sich der Romantik verpflichtet, einer neuen Strömung, die Ende des 18. Jahrhunderts in Jena entstand. Im Gegensatz zur Klassik verwerfen die Romantiker das Vernunftdiktat der Aufklärung, erheben das Gefühl zum Maß aller Dinge. Als Heidelberger Romantik wird man die Gruppe um Brentano und Arnim später bezeichnen. Stärker als ihre Vorgänger suchen sie im napoleonisch beherrschten Deutschland nach der eigenen nationalen Identität. Und finden sie in der Vergangenheit: Die Bewahrung des kulturellen Erbes wird zu ihrem wichtigsten Programm.
So wird auch die Nachwelt die Heidelberger Romantik verklären. Tatsächlich halten sich Brentano, Arnim und Görres nicht einmal zwei Monate gleichzeitig in der Stadt auf, Eichendorff bleibt kein Jahr. Ein anderer kennt die Stadt nur von Besuchen: Friedrich Hölderlin. Hier entdeckt er seine Leidenschaft fürs Schreiben. „Du der Vaterlandsstädte Ländlichschönste“, besingt er den Ort in einer Ode.
Brentano und von Arnim arbeiten derweil an einem ehrgeizigen Projekt. „Des Knaben Wunderhorn“ heißt die Sammlung von Gedichten und Liedern, die sie zusammentragen. Doch so volkstümlich und traditionsbewusst, wie sie zu sein vorgeben, sind sie nicht: Selbst eigene Texte versehen die beiden Dichter mit Anmerkungen wie „in der Spinnstube eines hessischen Dorfes aufgeschrieben“. Romantik als Inszenierung.
Trotz aller philologischer Schwächen wird das dreibändige Mammutwerk, veröffentlicht 1806 bis 1808, zu einer der wichtigsten Sammlungen deutscher Literatur. Unumstritten ist es schon damals nicht; der Gelehrte Johann Heinrich Voß kritisiert den „heillosen Mischmasch“ heftig. Der Streit trägt dazu bei, dass die frustrierten Romantiker die Stadt verlassen.
Die Heidelberger Romantik aber lebt fort – und erstarrt oft in Kitsch. Ende des Jahrhunderts wird die Stadt zum Inbegriff der Studentenromantik, von Kneipenkultur und deutschtümelnder Burschenherrlichkeit. Zugleich lernt man, sie touristisch zu vermarkten. Und das tut man bis heute, in Büchern, Liedern, zahllosen Souvenirshops. Das aber, was die Romantiker einst in die Stadt gezogen hat, findet man dort nicht mehr.
Von Michael Abschlag
Was die Romantiker in die Stadt gezogen hat, findet man hier nicht mehr?
Was findet man hier denn nicht mehr? Das geistige Zentrum – vielleicht.
Aber kleine Wohnungen, verwinkelte Gassen und Weinberge gibts noch heute. Ja sogar Schatten! 😉
Das stimmt allerdings. Der letzte Satz bezog sich auch eher auf die touristische Vermarktung dieses Images, etwa durch die erwähnten Souvenirshops. Ansonsten hast du natürlich vollkommen Recht – in Heidelberg gibt’s tatsächlich noch viele schöne Ecken. Zum Glück! 🙂