Der Einsatz des verdeckten Ermittlers Simon Brenner war rechtswidrig. Eine Erinnerung an den Heidelberger Spitzelskandal.
Fast fünf Jahre sind inzwischen vergangen, seit der Mann, der sich Simon Brenner nannte, als verdeckter Ermittler der Polizei enttarnt wurde. Brenner, der eigentlich Bromma heißt, hatte über mehrere Monate Heidelbergs linke Szene ausspioniert und die dabei gewonnenen Informationen an das Landes-kriminalamt und den Staatsschutz weitergereicht. Im Prozess um die Rechtmäßigkeit des Einsatzes hat das Verwaltungsgericht Karlsruhe nun sein Urteil gesprochen: Der Einsatz war formell und materiell rechtswidrig.
„Das Urteil bedeutet für uns einen Sieg auf ganzer Linie“, sagt Michael Dandl, der als Hauptzielperson der verdeckten Ermittlung gemeinsam mit sechs weiteren Betroffenen gegen den Einsatz geklagt hatte. Dandl, 47, Angestellter in einem Copyshop, ist Sprecher des „Arbeitskreises Spitzelklage“, der sich der Aufklärung des Falls „Simon Brenner“ verschrieben hat, und bezeichnet sich selbst als „Systemantagonist“. Seit ihrer Gründung im April 1999 ist er bei der „Antifaschistischen Initiative Heidelberg“ aktiv; er spricht von der „Disziplinargesellschaft“ und ihren „Repressionsbehörden“ wie jemand, der seinen Foucault gründlich gelesen hat. Dass er als einer der umtriebigsten Heidelberger Aktivisten zu den zwei namentlich benannten Zielpersonen des Spitzeleinsatzes gehörte, hat Dandl nicht überrascht: „Ich wusste, dass ich im Visier stehe.“ Dennoch war er wütend, als jemand am Abend des 12. Dezember 2010 ins „Café Gegendruck“, einem der einschlägigen Treffpunkte der linken Szene in Heidelberg, gelaufen kam und berichtete, man habe soeben einen Spitzel enttarnt. Sofort war er mitgekommen in die Ingrimstraße, wo sie Minuten zuvor in der Bar „Orange“ den vermeintlichen Simon Brenner mit ihrem Verdacht konfrontiert hatten. „Du bist doch Bulle.“ – „Ja, ich bin Bulle.“
Der „Bulle“ hatte sich zum Sommersemester 2010 für Germanistik und Ethnologie an der Universität Heidelberg eingeschrieben und die Matrikelnummer 2858472 erhalten. Später wechselte er zu Soziologie. Von Anfang an suchte er die Nähe zum linken Studentenmilieu, engagierte sich zunächst bei „Die Linke.SDS“, später bei der Kritischen Initiative. An Anti-Atomkraft-Kundgebungen hat er dabei ebenso teilgenommen wie bei Nazi-Blockaden, schließlich sogar selbst eine Demo organisiert. Bromma hat das Vertrauen der in den Gruppen Aktiven gewonnen, gab sich interessiert und hilfsbereit. Für viele war er ein Freund geworden, hat in ihren Wohnungen übernachtet und ihre Elternhäuser betreten. Er habe sich dabei nicht verstellen müssen, hat er später erklärt – ein Satz, dessen Kaltschnäuzigkeit Michael Dandl noch heute fassungslos macht.
Dass Simon Bromma am Ende aufgeflogen ist, war reiner Zufall: Eine Urlaubsbekanntschaft, der er im Sommer 2010 als „der Simon von der Polizei“ vorgestellt wurde, hat ihn auf einer Party in Heidelberg wieder getroffen und sich gewundert, ihn in Begleitung linker Aktivisten zu sehen. Bromma hat sie noch zum Stillschweigen überreden wollen, sie aber wies die Leute aus dem Umfeld der „Kritischen Initiative“, mit denen sie bekannt war, tags darauf auf die wahre Identität ihres gemeinsamen Bekannten hin. Das war der Tag seiner Enttarnung.
Heute ärgert sich Michael Dandl, dass sie an dem Abend vor dem „Orange“ nicht mehr aus Simon Bromma herausbekommen haben. Nachdem er zugegeben hatte, über alle aus seinem Umfeld Akten angelegt und diese samt Informationen über die Aktivitäten der verschiedenen Gruppen an seine Vorgesetzten weitergegeben zu haben, war er buchstäblich über Nacht aus Heidelberg verschwunden. Seine Leimener Wohnung stand schon am nächsten Morgen leer.
Man sollte meinen, dass die große Zeit der Heidelberger Linken weit in der Vergangenheit liegt. Vielleicht in den siebziger Jahren, als die Stadt eine Hochburg der Studentenbewegung war. Oder in den Neunzigern, als im Stadtteil Bergheim ein Autonomes Zentrum existierte und einen Sammelpunkt für diverse studentische Initiativen von den Antifaschisten bis zur Ökobewegung bildete. Es ist aber das Jahr 2010, in dem der Leiter der Heidelberger Polizeidirektion Bernd Fuchs den Einsatz eines verdeckten Ermittlers anordnet, um – so die Einsatzanordnung vom 25. Februar des Jahres – „rechtzeitig gegen sich bildende terroristische Vereinigungen“ vorzugehen. Die verdeckte Ermittlung ist eine der schärfsten Maßnahmen, die der Staatsgewalt in Deutschland zur Verfügung stehen: Sie berührt die Grundrechte nicht nur derjenigen, die im Ziel der Ermittlung stehen, sondern auch unbeteiligter Dritter. Das Polizeigesetz des Landes lässt sie deshalb nur zu, wenn eine „Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leben, Gesundheit und Freiheit einer Person oder für bedeutende fremde Sach- und Vermögenswerte“ ausgeht oder zukünftig ausgehen wird.
Genau das aber konnte die Polizei dem Verwaltungsgericht nicht nachweisen: Weder sei es ersichtlich, dass von der Zielperson des Spitzeleinsatzes eine derartige Gefahr ausgehe, noch gebe es Hinweise auf „konkrete Feststellungen zu der behaupteten Gewaltbereitschaft der Antifaschistischen Initiative Heidelberg“. Dem Einsatz fehlten demnach die erforderlichen „formellen und materiellen Voraussetzungen“. Auch für die „vorbeugende Bekämpfung von Straftaten mit erheblicher Bedeutung“ konnte das Gericht keine Anhaltspunkte erkennen. Dass Michael Dandl Kontakt zu einem Mitglied der „Anarchistischen Initiative Kraichgau-Odenwald“ gehabt habe, in dessen Wohnung Molotow-Cocktails gefunden worden waren, wollte dem Gericht nicht genügen. Auch in Bezug auf die übrigen sechs Kläger, die namentlich nicht zu den Zielpersonen gehörten, sondern als „unvermeidbar betroffene Dritte“ gelten, urteilte das Gericht eindeutig: Beim Sammeln von personenbezogenen Daten handele es sich auch in diesen Fällen um einen Grundrechtseingriff, der „mangels Rechtsgrundlage rechtswidrig gewesen“ sei.
„Ich war von Anfang an zuversichtlich, dass wir den Prozess gewinnen würden“, sagt Martin Heiming, der die sieben Kläger in Karlsruhe vertreten hatte. „Die Polizei hatte und hat nichts in der Hand.“
Je klarer die Ergebnislosigkeit des Einsatzes jedenfalls hinsichtlich seiner vorgeblichen Absicht zutage tritt, desto fragwürdiger erscheint auch sein Anlass. War das Ziel tatsächlich der umtriebige Antifaschist Michael Dandl, der zum Zeitpunkt der Bromma-Ermittlungen selbst schon lange kein Student mehr gewesen ist, dessen Bespitzelung aber die Durchleuchtung einer ganzen Reihe von aktiven Studenteninitiativen scheinbar unvermeidlich mit sich brachte? Der Plan, über das Eindringen in locker organisierte Studentengruppen nach und nach zum eigentlichen Einsatzziel Dandl und der Antifaschistischen Initiative vorzudringen, erscheint nicht nur dem Anwalt Heiming als „sehr um die Ecke gedacht“. Umgekehrt entpuppt sich die einzige Gefahr versprechende Einsatzbegründung – der Fund der „Wurfbrandsätze“, die man gemeinhin Molotow-Cocktails nennt – als erkennbar vorgeschoben, datiert der Fund doch auf November 2009. Bereits im selben Monat soll „Simon Brenner“ – noch vor dem offiziellen Beginn des Einsatzes – erstmals in Heidelberg aufgetaucht und müsste entsprechend noch zuvor geschult und vorbereitet worden sein.
Sollte es tatsächlich so sein, dass Polizeichef Fuchs sich eine breitere Aufhellung der linken studentischen Szene versprochen hat, weil der Polizei, in den Worten des Anwalts Heiming, „alles, was links ist, als verdächtig gilt“?
Genau davon geht Alexander Hummel aus. Der Referent für Politische Bildung beim Heidelberger StuRa spricht von einer „faktischen Überwachung aller Heidelberger Studierenden“. „Tatsächlich bespitzelte Bromma ja nicht nur seine Zielpersonen, sondern das Umfeld der Bekannten des Dunstkreises dieser Personen“, erklärt er. Gegen eine solche Überwachung hat sich der StuRa in einem Beschluss im Vorfeld der Verhandlung gewandt und den AK Spitzelklage finanziell unterstützt. Zusätzlich sollte eine Demonstration die Aufmerksamkeit der Heidelberger Studenten, in deren Gedächtnis der Fall „Simon Brenner“ bereits zu verblassen scheint, auf die kollektive Betroffenheit lenken.
Tatsächlich lesen sich manche Passagen der Einsatzanordnung wie ein Generalverdacht gegenüber allen Studenten: „Universitätsstädte sind allgemein als Magnet von linksorientierten Personen bekannt“, heißt es da, und weiter: „Dabei gibt es in diesen Kreisen alle Spektren linker Motivation, angefangen vom bürgerlichen Lager bis hin zum gewaltgeneigten Extremismus.“ Man wüsste zu gerne, was in den Köpfen der Leute vorgeht, die solche Sätze schreiben. Leider gibt man sich sowohl bei der Polizei als auch beim Innenministerium wortkarg. Vor dem Ende der Berufungsfrist wolle man keine Fragen beantworten: Nicht die nach Umfang und Inhalt der Berichte, die Simon Bromma regelmäßig an seine Vorgesetzten weitergegeben hat. Diese Akten sind durch das Innenministerium nach wie vor gesperrt, auch dem Verwaltungsgericht wurden sie nur in Teilen und geschwärzt vorgelegt. Auch das Rätsel um eine in den Räumen der Studentenvertretung gefundenen Wanze, deren Zusammenhang mit dem Einsatz Simon Brommas nur vermutet, aber nie nachgewiesen werden konnte, bleibt offen: Handelte es sich dabei tatsächlich um ein polizeilich installiertes Abhörgerät, würde das unterschiedslos alle Studentengruppen – einschließlich dieser Zeitung – von der Überwachungsaktion betroffen machen. Schließlich bleibt die Frage nach der Existenz weiterer verdeckter Ermittler, die von Seiten des „AK Spitzelklage“ nicht nur in Heidelberg, sondern auch in weiteren Studentenstädten im Land immer wieder vermutet wird.
Lassen die Beklagten die Berufungsfrist ungenutzt verstreichen, wovon die Beobachter derzeit ausgehen, bedeutet das Urteil im Fall „Simon Brenner“ eine krachende Niederlage für das Land Baden-Württemberg und die Heidelberger Polizei. Es hätte dann wesentlich zur Rehabilitation der Betroffenen beigetragen. Was sich Michael Dandl von dem Urteil erhofft? „Politische Strahlkraft für die Zukunft“ – in einem Spitzelfall, bei dem noch vieles im Dunkeln liegt.
Von Kai Gräf