Auf diesem schottischen Friedhof gibt es nichts, was es nicht gibt: Leichendiebe, Knochenfunde und einen Geist.
[dropcap]L[/dropcap]asagne-Technik, Leichendiebe, gewalttätige Geister und Harry-Potter-Charaktere mögen wie eine seltsame Kombination erscheinen, doch in der schottischen Hauptstadt Edinburgh vereinen sie sich in der wahrlich gespenstischen Hintergrundgeschichte von einem der weltweit am meisten heimgesuchten Friedhöfe: Greyfriars Kirkyard.
Beim Betreten des Friedhofs fallen mehrere, halb versunkene Grabsteine ins Auge. Vor Jahren einmal müssen sie etwa einen Meter hoch gewesen sein, mittlerweile sind von einigen nur noch knappe dreißig Zentimeter oder weniger übrig. Das Verschwinden der Grabsteine liegt in der Geschichte des Friedhofs, den die Einheimischen als Lasagne der Stadt bezeichnen: Greyfriars war lange Zeit der einzige Friedhof Edinburghs. Da irgendwann der Platz für neue Gräber ausging, kam der Stadtrat auf eine Idee – man schüttete eine Schicht Erde auf die alten Gräber und schon war Platz für neue. Mit der Pest jedoch wuchs das Platzproblem weiter an, und so fuhr man mit der Schichttechnik fort: Tote, Erde, Tote, Erde – wie eine Lasagne. Und wo etwas versinkt, kommt auch etwas nach oben: wenn es im Winter mehrere Tage hintereinander stark regnet, kann es immer noch passieren, dass durch die weggespülten Erdschichten die Knochen der Toten an die Oberfläche kommen. Anfassen sollte man diese allerdings nicht, denn angeblich kann man sich auch nach all den Jahren noch mit der Pest anstecken. Knochenfunde sollen dem Pfarrer gemeldet werden, dann werden sie in einem Massengrab erneut beigesetzt.
Doch damit fängt der Grusel erst an: Als Anfang des 17. Jahrhunderts das Medizinstudium an der University of Edinburgh erblühte, entstand ungewollt auch der illegale, aber doch sehr rentable Handel mit Menschenleichen. Frisch Beerdigte wurden des Nachts von Leichendieben wieder ausgegraben und am nächsten Morgen an Medizinstudenten zur Sektion verkauft. Da diese Praxis zu einer schändlichen Epidemie wurde und man das Unternehmen unterbinden wollte, errichtete man „Mortsafes“, imposante Metallgitter, die tief in den Boden hineinreichen, um das Grab und damit den Toten zu schützen, von denen zwei heute noch auf dem Friedhof zu sehen sind – wenn auch etwas verrostet.
Der eigentlich gruselige Teil des Friedhofs ist jedoch für die Öffentlichkeit verschlossen. Der Grund dafür ist tagsüber nicht ersichtlich, denn dieser Teil des Friedhofs, genannt Coverantors‘ Prison, unterscheidet sich nicht sonderlich vom Rest: die Eingänge zu Mausoleen erstrecken sich zu beiden Seiten der dicken Steinmauern, in der Mitte stehen mehrere alte Bäume. Doch der Bereich ist gut gesichert, mit einem stabilen Eisentor und einem Sicherheitsschloss werden ahnungslose Besucher am Betreten gehindert. Dort soll ein gewalttätiger Geist spuken – Besucher berichteten nicht nur von Kratzern, blauen Flecken und gebrochenen Knochen, sondern es gab auch Fälle von Bewusstlosigkeit und Übelkeit. Zwischen 1999 und 2006 gab es insgesamt mindestens 450 dokumentierte Angriffe und 140 Zusammenbrüche. Die „Angriffe“ auf Besucher des Covernantors‘ Prison begannen, nachdem ein Obdachloser im Winter 1999 betrunken in das nicht weit vom Eingang des Covernantors‘ Prison enfernte Mausoleum von Sir George Mackenzie einbrach und dort randalierte. Der Stadtrat handelte und sperrte diesen Teil des Friedhofs für die Öffentlichkeit. Nur mit geführten Geistertouren kommt man noch nachts hinein, und die Führer machen deutlich, dass sie nichts, was sich in diesem Teil des Friedhofs abspielt, unter Kontrolle haben. Der „Mackenzie Poltergeist“ ist jedoch nicht der Geist von Sir George Mackenzie: Dieser Geist stammt von mehreren hundert Toten. Dazu muss man wissen, was sich im Covernantors‘ Prison in der Vergangenheit abgespielt hat. Nach dem Aufstand der Coverantors (eine Gruppierung, die sich gegen die anglikanisch geprägte Kirche wehrte) durch die Regierung 1679 wurden fast 1200 Gefangene genommen. Da der Stadtrat allerdings nicht wusste, was er nun mit ihnen anstellen sollte, sperrte man sie in diesen Teil des Friedhofs. Wer einen Fluchtversuch wagte, wurde erschossen. Gut die Hälfte der Gefangenen erhängte man auf dem Grassmarket, einem Platz unweit des Friedhofs, der nicht nur als Markt, sondern auch als öffentliche Hinrichtungsstätte diente – was sich auch heute noch in den Namen der dortigen Pubs zeigt (wie beispielsweise „The Last Drop“). Nach einiger Zeit war der Stadtrat jedoch der Meinung, dass dies eine zu grausame Umgangsweise mit den Gefangenen war, und beschloss, sie mit dem Schiff in die Karibik zu schicken – und dort als Sklaven zu verkaufen. Das Schiff sank jedoch bereits bei den Orkneyinseln und fast alle Gefangenen starben auf der Reise. Unterzeichnet hat diese Anweisung unter anderem jener Sir Gregor Mackenzie, nach dem der Poltergeist benannt ist.
Tagsüber jedoch ist der Friedhof nicht nur schön, sondern auch inspirierend: wer aufmerksam durch die Grabreihen geht, kann dort sowohl das Grab von Thomas Riddell als auch das von McGonnagall finden – J.K. Rowling bestätigte, dass sie diese Namen für ihre Buchcharaktere nutzte.
Von Verena Mengen aus Edinburg, Schottland