Das Gespräch mit Ludvig Broomé, 23, beginnt mit einem Röntgenbild. Es zeigt das Kalaschnikow-Projektil in der Schulter seiner Freundin Julia*. Der schwedische Austauschstudent spricht über seine Erfahrungen in der Nacht der Attentate in Paris.
Ludvig, wie hast du die Nacht vom 13. November erlebt?
Ludvig Broomé: Ich war Zuhause in meinem Apartment im siebten Arrondissement, als die Anschläge stattgefunden haben. Natürlich habe ich, wie vermutlich jeder, die Online-Nachrichten verfolgt. Zu diesem Zeitpunkt war jedoch noch völlig unklar, um welche Art von Attacke es sich handelt. Etwa eine Stunde nach der ersten Anschlagsserie habe ich dann eine SMS von meiner engen Freundin Julia* bekommen. Sie schrieb, dass ihr in die Schulter geschossen wurde und ihre beste Freundin regungslos neben ihr lag.
Was war deine erste Reaktion?
Ich habe sie sofort angerufen und auch erreicht. Sie befand sich noch im Restaurant und war total aufgelöst. Trotzdem gelang es mir, sie zu beruhigen. Da sie aber starke Schmerzen hatte, brach sie das Telefonat nach ein paar Minuten ab.
Wie hast du dich nach dem Auflegen gefühlt?
Ich habe mich im ersten Moment sehr hilflos gefühlt, weil die Lage noch so unübersichtlich war und ich nicht direkt zu ihr konnte, da schon alle Straßen im elften Arrondissement abgesperrt waren. Natürlich habe ich mir wahnsinnige Sorgen um sie gemacht.
Deine Freundin Julia hat die Attacke im Restaurant „Le petit cambodge“ überlebt. Wie hast du die Tage danach wahrgenommen?
Am Samstag habe ich natürlich direkt versucht zu Julia ins Krankenhaus zu kommen und mich mit ihrer Familie, die bereits in Paris war, in Kontakt gesetzt. Julias Überleben hatte für uns alle oberste Priorität. Die gemeinsame Zeit mit Julia und ihren Eltern direkt nach den Attentaten war sehr intensiv und ein erster Schritt meiner Verarbeitung. Erst ein paar Tage später habe ich mich nochmal alleine mit den Ereignissen auseinandergesetzt.
Was hat dir bei der Bewältigung dieses Traumas geholfen?
Ich habe einen eigenen Blog, in dem ich über Dinge schreibe, die mir in meinem alltäglichen Leben begegnen oder mich beschäftigen. Hauptsächlich geht‘s um Politik und Fußball (lacht). Ich habe ein paar Tage nach den Anschlägen einen längeren Artikel über ISIS verfasst und versucht, deren Ursprung und Motivation im psychologischen, politischen und ökonomischen Sinne zusammenzufassen. Nicht zur Selbstinszenierung, sondern um meine eigenen Gedanken rational zu ordnen. Diese Selbsttherapie hat mir, neben dem engen Kontakt zu Familie und Freunden, sehr geholfen.
Warum hast du dich gerade mit den Attentätern auseinandergesetzt?
Ich glaube dieser Wunsch nach einer Erklärung ist ein ziemlich menschliches Bedürfnis. Es fällt mir leichter, wenn ich die Gründe hinter gewaltsamen Taten analysieren kann, oder es zumindest versuche, um sie als Konsequenz verstehen zu können. Natürlich ist das bei Terroranschlägen wie hier in Paris sehr schwierig, da sie absichtlich die „unschuldige“ Zivilbevölkerung zum Ziel haben. Es geht ihnen also primär darum, Angst innerhalb der Bevölkerung zu erzeugen, in der Hoffnung, dass wir unsere gesellschaftlichen Werte aufgeben.
Es gab auch kritische Stimmen gegen die weltweite Betroffenheit nach den Pariser Attacken, weil sie heuchlerisch gegenüber Opfern aus anderen Ländern sei. Wie empfindest du diesen Vorwurf als Betroffener?
Ich denke, es ist nie leicht mit einer so hohen Anzahl von Toten in einem Land umzugehen. In Frankreich muss man natürlich die nahe kulturelle Beziehung zu anderen europäischen oder westlichen Ländern betrachten und auch den Kontext, dass Anschläge dieser Art und Weise in Europa einfach seltener vorkommen. Natürlich ist dies keine Entschuldigung für eine Ignoranz von anderen Terroranschlägen, die geographisch weiter entfernt liegen, jedoch sollte sich jeder fragen, wie viele dieser Kritiker sich tatsächlich bei dem Auftreten von Anschlägen außerhalb von Europa geäußert haben und dafür eingetreten sind? Ich würde einfach sehr vorsichtig sein, den Kummer von Menschen mit solchen Aussagen zu politisieren.
Du wirst noch für ein weiteres Semester in Paris studieren. Kann die Stadt jemals wieder wie vor den Anschlägen werden?
Es sind zwei Seiten, die ich in Zukunft mit Paris verbinde. Natürlich wird dies immer der Ort bleiben, an dem enge Freunde und deren Familie einen unbeschreiblichen Albtraum erlebt haben – an dem auch ich indirekt teilgenommen habe. Auf der anderen Seite steht Paris für mich aber auch für ein freies und unabhängiges Leben. Dieses Gefühl sollte nicht durch Angst und Schrecken verloren gehen, denn dann hätten die Terroristen ihr Ziel erreicht.
* Name von der Redaktion geändert
Das Interview führte Greta Aigner